Der letzte Tag: Roman (German Edition)
verärgert und gereizt. Kurz gesagt, er fühlte sich genauso, wie jeder Hauptdarsteller sich bei den Dreharbeiten fühlt. Die Schlafmaske von American Airlines würde sich wundern, was alles auf sie zukam. Max hatte drei tragbare Tageslichtsimulatoren aus England mitgebracht, die das Motelzimmer in gleißendes Licht tauchten, so grell wie die Wüste zur Mittagszeit.
Als er ins Zimmer getreten war und die drei Betten gesehen hatte, war Kyle zunächst irritiert gewesen. Das war wieder so ein Zeichen dafür, dass Max glaubte, er könne Kyle alles zumuten, ohne vorher zu fragen. Aber egal, er war jetzt hier und hatte andere Probleme. Er war erschöpft, nervös, verängstigt, fühlte sich dem Ganzen überhaupt nicht gewachsen, trotzdem würde er die
ihm zugedachte Rolle spielen. In dieser Hinsicht hatte sich nichts geändert. Auf den anderen beiden Betten lag die Ausrüstung seiner Begleiter so unordentlich durcheinander, als hätten sie gar nicht die Absicht, sie wirklich zu benutzen. Das Zimmer war offenbar für Familien oder Jugendgruppen gedacht oder hatte mal einer FBI-Einheit als Ort für einen Lauschangriff gedient. Max und Jed hatten ihm das Bett am Fenster überlassen, und er hatte sich sofort darauf fallen lassen.
Zum wiederholten Mal warf Kyle dem dritten im Bunde einen verstohlenen Blick zu. Der korpulente Jed hatte ihn am Flughafen abgeholt. Er sah aus wie ein typischer Tourist, war offenbar von Geburt an ein Ausbund an Selbstsicherheit und Herzlichkeit und hatte Kyle so kräftig die Hand gedrückt, dass es wehtat. Anschließend fuhr er ihn schweigend zum Motel, wo sie von einem irgendwie wiederbelebten Max erwartet wurden, der sie mit einem breiten, zufriedenen Lächeln empfing. Sein Ohr war noch immer von einer dicken Mullbinde bedeckt, und über den Kratzern auf seinen Wangen klebten Pflaster. Er sah aus wie das Opfer einer fehlgeschlagenen Schönheitsoperation.
Nachdem der Produzent ihn mit aufgesetzter Fröhlichkeit begrüßt hatte, wurden Kyle und Jed einander richtig vorgestellt. Jed bezeichnete sich als »Maximillians Eingreiftruppe«, dann setzte er sich mit Max auf die Stühle vor dem kleinen Tisch, der unter dem Fernseher an der Wand stand. Wir müssen noch was Geschäftliches besprechen und brauchen dich dabei nicht , sollte ihr Getue offenbar signalisieren.
Max schien viel von Jed zu halten. Dem Amerikaner war es gelungen, die Kinder aus der Kupfermine ausfindig zu machen. Jed hatte Chet Regals Haus drei Monate lang überwacht. Er hatte alle Personen aufgestöbert, die Kyle und Dan in den USA interviewt hatten. Jed erledigte alles, und er hatte sogar Schusswaffen. Aber er machte Kyle nervös.
Auf dem Weg in das Zimmer hatte Kyle nur einen kurzen
Blick auf den Tisch geworfen, den die beiden Männer benutzten. Darauf lagen zahlreiche Luftaufnahmen von Chet Regals Anwesen, ein architektonischer Grundriss, eine Landkarte und drei schwarze Griffe, die aus Halftern herausragten, was ihm überhaupt nicht gefiel. Er war nicht gern in der Nähe von Schusswaffen, schon gar nicht für längere Zeit. Welche kriminellen Aktivitäten diese Objekte auch andeuteten, er weigerte sich, darüber nachzudenken: Es würden verzweifelte Aktionen sein, denen er beiwohnen sollte, um sie zu filmen. In Gesellschaft eines völlig fremden Mannes und eines anderen, der ihm ziemlich fremd geblieben war und dem er nicht über den Weg traute. Auch an das, was Dan und, als es das letzte Mal draußen dunkel geworden war, beinahe auch ihn selbst umgebracht hatte, wollte er lieber nicht denken. Morgen würde noch genug Zeit sein, sich dem Terror zu stellen, der ihn erwartete. Im Augenblick wollte er nichts damit zu tun haben. Denn, was immer das war, gegen das er in London angetreten war, es würde in Schwester Katherines Haus bestimmt noch viel heftiger wüten. Was er jetzt dringend brauchte, war ein tiefer Schlaf, der ihn aus diesem Zimmer und fort von diesen unnatürlich grellen Lichtern führte.
Am San Diego International Airport hatte eine Stewardess ihn geweckt und sich dabei bemüht, ihre Abneigung zu überspielen, als sie ihn ansah. Er hatte sich seit Wochen nicht rasiert, seit Tagen nicht gewaschen und hing im Liegesessel der ersten Klasse wie ein dahergelaufener Penner. Sieben Stunden des zehnstündigen Flugs hatte er durchgeschlafen, ohne irgendwas zu träumen. Dann war er in Kalifornien aus seinem komaartigen Zustand erwacht und hatte Kopfschmerzen. Als Gepäck hatte er nur einen Rucksack mit ein paar
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