Der letzte Tag: Roman (German Edition)
Fassung wiederzugewinnen und die Verteidigung des Landes zu organisieren. Sie ermutigten ihn, sie weiterhin zu führen, diesmal in ein anderes mörderisches Abenteuer, jenseits dieses Mahlstroms der Paranoia, der Inhumanität und der Bösartigkeit. Auch das hörte nie auf, natürlich nicht, aber er nutzte seine Chance zu überleben und an der Macht zu bleiben.
Als Teufel war er makellos. Makellos satanisch. Und morgen werden auch wir einem unzähmbaren Teufel gegenübertreten. Aber im Gegensatz zu Molotow im Jahre 1941 müssen wir einen anderen Kurs einschlagen. Für uns muss im Vordergrund stehen, was es für Konsequenzen hat, wenn wir nicht handeln.«
Jed schaute ratlos auf seine Hände. »Aber was ist mit Hitler, Max? Wenn die Russen nicht mobilisiert hätten, hätte er den Krieg gewonnen.«
Max lächelte. »Wirklich? Hatte er den Krieg nicht ohnehin schon zu sehr ausgeweitet? Nicht einmal Deutschland hätte eine so breite Front längere Zeit halten können. Und Hitlers Wahn, und der seiner kriecherischen Elite, war schon längst da angekommen, wo sich alles gegen ihn wendete und das zerstörte, was er angestrebt hatte. Man könnte sagen, dass seine Ambitionen schon in den Bereich der Fantasterei abgeglitten waren. Sein Tag der Abrechnung kam, als er mit der Invasion von Russland begann. Selbst wenn Russland klein beigegeben hätte, wäre der Zusammenbruch der deutschen Armee nur verzögert worden, bis Hitler eine neue Möglichkeit der Selbstzerstörung gefunden hätte.
Aber ich bin froh, dass du diesen, wie soll ich es ausdrücken, besser analysierten Soziopathen angesprochen hast. Denn Hitler war Stalins ebenbürtiger Widersacher. Und wie in Stalins Datscha
1941 wurden auch die Möglichkeiten, Hitler zu töten, verschenkt. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts wäre anders verlaufen, wenn wir mehr Glück bei der Ermordung unserer Tyrannen gehabt hätten. Zwei Männer und ihr Wille zur absoluten Macht und der Opportunismus ihrer Vertrauten, das können wir wohl mit Fug und Recht behaupten, waren verantwortlich für den Tod von fünfzig Millionen Menschen während dieses sieben Jahre andauernden Konflikts. Nicht zu vergessen die irreparablen Schäden, die die Überlebenden davongetragen haben. Kann man ernsthaft in Zweifel ziehen, dass solche Männer so früh wie möglich ausgeschaltet werden müssen?«
Jed zwinkerte Kyle zu, der Max durch einen Spalt zwischen seinen Fingern hindurch anstarrte. Max bemerkte das Zwinkern, lächelte und kicherte in sich hinein. »Na, verfolge ich etwa schon wieder hinterlistige Ziele, wenn ich solche Plattitüden über Stalin und Hitler von mir gebe?«
Kyle war viel zu müde, schockiert und erschüttert von dem, was in seinem eigenen Leben vorgefallen war, als dass er die tiefere Bedeutung von Max’ Ausführungen über diese Monster der Weltgeschichte nachvollziehen konnte.
»Worauf ich hinauswill, meine Herren, ist Folgendes: In der menschlichen Natur gibt es etwas Dämonisches, das uns in Versuchung bringt, es zu verehren. Dem wir uns nicht entziehen können, dem wir dienen wollen. Das ist unsere schlimmste Tragödie. Eine Tragödie, weil es universell ist und zeitlos wie alle echten Tragödien. Und wir sind nicht fähig, aus unseren Fehlern oder den Fehlern unserer Vorfahren zu lernen. Stalin, Hitler, Mao, Pol Pot sind der Makrokosmos. Nehmt noch Napoleon, vielleicht auch Cäsar und Alexander dazu, diese historischen Gestalten, die wir für ihre Eroberungen, ihren Drang, ihre Ambitionen bewundern, und für den angeblichen Fortschritt, den sie uns beschert haben. Aber wäre die Menschheit ohne sie nicht besser dran gewesen?«
Jed kippte sich einen Whisky hinter die Binde und sagte: »Dann hätte es andere gegeben. Das macht keinen Unterschied.«
Max klatschte begeistert in die Hände. »Dadurch wird unsere Tragödie nur noch größer, denn sie scheint unvermeidbar. Offenbar sind wir unfähig, uns von anderen als solchen monströsen Figuren führen zu lassen. Von solchen bösartigen Narzissten. Und es gibt viele, die gern bereit wären, den Platz eines abgesetzten Tyrannen zu übernehmen, um ihm nachzueifern. Wir anderen hier unten sind nicht fähig, uns unsere Führer vernünftig auszusuchen, falls wir überhaupt eine Chance dazu bekommen. Wir sind nicht in der Lage, es nüchtern zu betrachten, und deshalb suchen wir uns immer wieder die skrupellosesten und egoistischsten Führer aus. Und die führen uns dann in den nächsten Krieg, den nächsten Holocaust und so
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