Der letzte Tag: Roman (German Edition)
Bett sah aus, als hätte es Fieber und Albträume, seine Augen waren geschlossen. Kyle brach in Tränen aus. Er wusste nicht wieso, aber er sagte zu dem Jungen auf dem Bett: »Es tut mir leid.« Vielleicht weil er, wenn er aufwachte, seinen toten Vater neben sich finden würde oder seine Ersatzmutter oder was auch immer da in dem zerstörten Körper gewesen war. Er sollte wohl besser einen Krankenwagen rufen. Vielleicht war ja schon einer unterwegs. Genau wie die Polizei. Es waren ja ziemlich viele Schüsse gefallen. Er sah sich im Zimmer um. Was tun?
Er hockte sich im Schneidersitz auf den Boden und ließ den Zielscheinwerfer seiner leer geschossenen Pistole über die Gesichter der Toten gleiten. Er fragte sich, ob irgendjemand ihm glauben würde, falls er erzählen sollte, was er gesehen, gewusst und getan hatte. Die Wahrheit. Das also war der Showdown gewesen, den Max sich für den Film vorgestellt hatte. Die letzte Szene. Würde irgendjemand ihm glauben? Dass er Chet Regal mit zahlreichen Schüssen getötet hatte, als er versuchte, in seinem Adoptivsohn zu reinkarnieren? Dass Regal gar kein ehemaliger Hollywood-Star gewesen war, sondern eine Frau, die sich Schwester Katherine genannt und eine Sekte geführt hatte, die sich »Der Tempel der Letzten Tage« nannte? Und dass die Blutspur
dieser Sekte bis zu den Blutsfreunden im Frankreich des sechzehnten Jahrhunderts reichte?
»Großer Gott.« Sämtliche Details seines Niedergangs schossen ihm durch den Kopf, er sah alles ungeheuer klar vor sich. Ihm wurde so kalt, dass er zu zittern begann. Tatsächlich würde die Polizei in diesem Zimmer die letzten beiden der Sieben vorfinden: Schwester Gehenna und Schwester Bellona. Alte Frauen, die verblutet waren und nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden konnten, nachdem sie von Klauen und Mäulern zerrissen worden waren, die es niemals geben durfte, jedenfalls, wenn man den Naturgesetzen folgte. Max war nicht mehr da, um ihn zu unterstützen. Auch Jed nicht. Ihre sterblichen Überreste lagen da draußen herum. Falls überhaupt irgendwas von ihm übrig war, würde man Max’ Knochen inmitten der stinkenden Überbleibsel eines uralten Schweins finden, das eine antike Bischofskutte trug.
»Heilige Scheiße«, sagte er zu den sitzenden Leichen auf den weißen Art-déco-Stühlen. Das Publikum heute Abend war wirklich großartig. Sehr konzentriert. Sehr höflich. Kyle fing an zu lachen. Niemand war da, der ihn zurechtweisen konnte, weder Susan, noch Gabriel, noch Martha. Er warf einen Blick zur Tür.
Dann zündete er sich eine Zigarette an. Rieb sich die Augen. Irgendwelche True-Crime-Bestseller würden irrwitzige Geschichten über das Bellen von Hunden und das Quieken eines Schweins im Haus eines Hollywood-Stars verbreiten. Dann wurden Schüsse gehört und anschließend Leichen gefunden. Nur er und ein kleiner Junge waren im ansonsten leeren Haus aufgefunden worden. Das Kind war bewusstlos gewesen und hatte offenbar unter grauenhaften Albträumen gelitten, während die Morde stattgefunden hatten. Nett. Die Polizei und das FBI würden sich seine Filmaufnahmen ansehen, Dan befragen und schließlich ihn verhören. Sie würden ihn jahrelang immer wieder ausfragen. Jahrzehnte. Man würde ihn bestaunen wie Bruder Belial, den Mörder aus der Blue-Oak-Kupfermine. Die Geschichte
hatte sich beinahe wiederholt, und sie war auf jeden Fall genauso grauenhaft. Alle Spuren führten direkt zu ihm. Zu ihm, dem besessenen Filmemacher, der verhärmt und völlig pleite begonnen hatte, Recherchen über den Tempel der Letzten Tage anzustellen. Krönender Abschluss seines Films waren seine letzten Worte vor laufender Kamera in der eigenen Wohnung, wo er von einer völlig abstrusen Verschwörung und einer Verbindung zwischen Chet Regal und Schwester Katherine erzählte. Conway und Sweeney, die beiden wackeren Polizisten, würden bestätigen, dass er über diese Sache Nachforschungen angestellt hatte und überaus eifrig dabei gewesen war.
Max hatte ihn benutzt, aber Max und alle Überlebenden der Sekte waren von Chet Regal gejagt und zerstört worden, von einem Schauspieler, der als Medium für Schwester Katherine gedient hatte. Das Rad des Schicksals hatte sich nicht nur gedreht, sondern war rückwärtsgelaufen.
Völlig benommen, wie ein Angeklagter nach der Urteilsverkündung, grübelte er über die Gemälde in Antwerpen nach und über die Geschichte, die sie erzählten. Würden die ihm aus der Patsche helfen? »Die Heiligen des Schmutzes«.
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