Der letzte Tag: Roman (German Edition)
niederzuringen, die von seinem Körper Besitz ergriffen hatte und ihn lähmte. »Ich kann nicht … was ist denn?«
»Es verschwindet.«
Kyle warf einen Blick in den Wandschrank. Und entdeckte die vagen Umrisse, die dunklen Linien, aber es sah aus, als würden die Flecken sich wieder in die Mauer zurückziehen oder wären wegradiert worden. »Du hast da drübergewischt.«
Dan schüttelte den Kopf. »Das kommt vom Licht.« Er hielt
Max’ Lampe hoch, die er in der linken Hand hielt. »Ich hab sie eingeschaltet. Um zu sehen, wie hell es hier drin wird, ohne die Deckenbeleuchtung. Du weißt schon, um Tageslicht zu simulieren. Ich hab die Lampe hier rübergenommen, zum Herd, da wo das Radio steht. Und die Wand angestrahlt. Da hab ich’s bemerkt. Sah aus, als würde es einschrumpfen. Im Licht. Es ist immer blasser geworden.«
Völlig verwirrt sahen sie einander an. Eine ganze Weile brachte keiner von ihnen ein Wort heraus.
Dan saß am Fußende von Kyles Bett und starrte in seinen dritten Whisky. »Wir können das nicht machen.«
»Jetzt sag bloß nicht, du willst aussteigen. Ich hab schon unsere Tickets gekauft.«
»Alter, da stimmt was nicht.«
»Was soll das heißen? Das ist unsere Zukunft. Wenn wir diesen Film fertig haben, sind wir aus dem Schneider, für immer. Das ist der Hit, von dem wir immer geträumt haben. Danach können wir jedes Projekt realisieren, das uns vorschwebt, und so, wie wir es uns vorstellen, mit einem vernünftigen Budget. Denk mal drüber nach. Ich hab keine Lust mehr, in diesem Lagerhaus zu arbeiten, ich ertrag’s nicht mehr. Verstehst du?«
»Aber Kyle … das ist einfach zu heftig. Was ist, wenn dieser Scheiß auch in meiner Wohnung auftaucht? Hast du mal darüber nachgedacht? Ich kann echt nicht glauben, dass du ernsthaft in diese Mine gehen willst, wo die sich gegenseitig umgebracht haben. Nach allem, was passiert ist?«
»Dan …«
»Das ist eine Warnung!« Dan deutete durch die Zimmertür in den Flur. »Verstehst du? Eine gottverdammte Warnung ist das!« Dan starrte seine Hände an und nahm noch einen Schluck von seinem Whisky. »Und was ist mit dieser Gestalt in der Clarendon Road? Darüber muss ich auch andauernd nachdenken.
Das war jedenfalls nicht bloß ein Fleck an der Wand oder ein Traum.«
»Ein Junkie, ein Obdachloser«, erwiderte Kyle hastig, in der Hoffnung, es würde irgendwie plausibel klingen.
»Das weißt du doch gar nicht. Teile seines Körpers waren durchsichtig. Und wo hat er sich überhaupt versteckt? Kannst du mir das sagen? Wir haben das ganze Stockwerk abgesucht.«
»Aber nicht alle Zimmer im oberen Geschoss. Er kann auch von da gekommen sein.«
»Möglich. Aber dann hätten wir ihn doch hören müssen. Vielleicht war es aber auch eine Projektion. Könnte es sein, dass Max uns manipuliert?«
»Weiß der Henker. Aber falls es … falls da tatsächlich etwas war, dann gibt es für uns sowieso keine Möglichkeit auszusteigen. Ganz im Ernst, Mann, sei doch mal realistisch.«
»Was hat Max denn dazu gesagt?«
»Er will erst noch unser Material aus Amerika abwarten, bevor er sich dazu äußert. Außerdem war er in Eile, weil er zum Begräbnis von Susan musste.«
»Wie günstig. Glaubst du immer noch, dass er uns an der Nase herumführt?«
»Schwer zu sagen.«
»Warum will er denn eigentlich, dass wir uns bei diesem Film hauptsächlich auf die paranormalen Aspekte konzentrieren? Vielleicht, weil er gehofft hat, dass wir etwas finden? Und nun stecken wir bis über beide Ohren in diesem irrwitzigen Scheiß.«
Kyle bemerkte die Angst in Dans Blick. Er hatte seinen Freund, der ohnehin schon verwirrt war, erneut verstört. Seine Zuversicht war dahin. Er hätte ihm dieses Ding im Wandschrank oder im Badezimmer in Caen niemals zeigen sollen. Aber es wäre nicht richtig gewesen, ihn darüber im Unklaren zu lassen, obwohl Kyle schon darüber nachgedacht hatte. Er versuchte, die Spannung zu lockern, indem er anmerkte: »Auf diesem Gebiet
sind wir halt Experten. Das passt doch zusammen. Wenn du mal genauer drüber nachdenkst.«
»Jetzt redest du wie Max. Ich sage es noch mal: Wir sind gerade dabei, uns in etwas richtig Seltsames zu verstricken und …«
Kyle unterbrach ihn: »Ich will mehr von diesen Tagebucheintragungen machen. Vor der Kamera. Über die inoffiziellen Sachen. Über unsere unerwartete Verstrickung in diese Geschichte, bloß weil wir angefangen haben, uns mit dem Material auseinanderzusetzen und ein paar Dinge enthüllt haben. Und Max
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