Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Der letzte Tag: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
Vom Netzwerk:
einer Flamme, die ziemlich bald verloschen war.
    Er trat zurück und versuchte, sich auf dieses eine Detail zu konzentrieren, dieses dicke, längliche Band im Zentrum des fluchbeladenen Schmutzflecks, der mit einem Mal mitten in der Nacht hier aufgetaucht war. Er war den Flecken auf den Steinwänden
in der Normandie, auf dem Putz im Keller der Clarendon Road und im Bad des Hotels in Caen nicht unähnlich. Die Oberflächen waren jeweils verschieden, aber die Abbildungen hatten einen ähnlichen Charakter: Sie wirkten versengt, verschmolzen, feucht, erinnerten an schmutzige Lappen, sahen aus wie etwas Dunkles, Feuchtes, das auf einem Gewebe getrocknet war, kamen ihm vor wie …
    Lieber Gott. Zwei längliche gebogene Bänder in der Mitte dieses Flecks ließen sein Gehirn auf Hochtouren arbeiten. Ulna und Radius. Zwei lateinische Begriffe aus dem Biologieunterricht schossen ihm durch den Kopf. Elle und Speiche . Und am anderen Ende erweckte das, was ein Klumpen aus Steinen zu sein schien, Assoziationen an das Wort Carpus . Handwurzelknochen, die von einer papierdünnen Hülle umgeben waren. Auf der anderen Seite die Ellbogenhöcker … Nervus ulnaris  … Der Musikantenknochen. Das klang witzig, war es aber nicht.
    Es sah aus wie ein Unterarm, der auf der Hinterseite des Wandschranks an der Mauer erschienen war. Nicht aufgemalt, sondern so, als wäre er durch das Mauerwerk gedrungen. Um die Türen des Wandschranks auf- und zuzuschlagen, während er schlief. Ein Arm, der durch ein offenes Fenster gestreckt wird, um im Zimmer nach etwas zu greifen. Und dann war er zurückgezogen worden und hatte einen Abdruck zurückgelassen, eine schmutzige Hinterlassenschaft, sichtbar für das bloße Auge, wahrnehmbar für einen lebendigen Menschen.

West Hampstead, London
17. Juni 2011, 7 Uhr
     
    Er rief Dan an. »He, Alter. Wo bist du?«
    »Zu Hause. Wie spät ist es denn?«
    »Sieben. Komm rüber, bitte.«
    Angestrengtes Atmen war zu hören, Husten, das Geräusch eines schweren Körpers, der sich bewegte. »Wieso denn so eilig? Ich bin total geschafft. Bin erst nach zwei ins Bett gekommen.«
    »Ich will dir was zeigen. Etwas, das du unbedingt sehen musst.«
    »Ich hab schon einen Anruf von Finger Mouse bekommen, wegen unserer Aufnahmen aus der Normandie. Gestern Abend. Er hat sich gleich die Tempel-Szene vorgenommen. Und jetzt dreht er durch. Glaubt, du hättest ihm Quatsch erzählt und wir würden gar keine Doku machen, sondern einen Horrorfilm mit irgendwelchen visuellen Effekten.«
    »Vielleicht stimmt das ja. Und wir sind die Besetzung. Hat Max bloß vergessen uns zu sagen.«
    »Wie meinst du das denn jetzt?«
    »War nur ein Scherz. Komm rüber, so schnell es geht. Und bring die Canon mit. Da ist was an der Küchenwand aufgetaucht.«
     
    »Was soll das sein?«
    »Ein Arm.«
    »Du spinnst doch.«
    »Sieh mal.« Kyle fuhr mit dem Finger über die angedeuteten Knochen. Der Abdruck war jetzt viel blasser, aber man konnte die Umrisse noch erkennen. »Ein Ellbogen. Und das da am Ende sieht für mich wie Handknochen aus. Dann wären das auf der anderen Seite die Unterarmknochen. Zoom doch mal drauf.«
    Dan blickte Kyle über den Sucher hinweg an. »Das hast du gemacht.«
    »Leck mich am Arsch, hab ich nicht.«
    »Echt?«
    »Echt wahr. Und wie gesagt, ich hatte diesen abartigen Traum. Und dann bin ich in einem anderen Traum aufgewacht … und war nicht mehr im Bett. Hatte das Gefühl, ich würde in der Luft darüber schweben, aber in einem anderen Körper.« Kyle zuckte mit den Schultern und schaute Dan eindringlich an. »Es war so ähnlich wie mein Traum in Caen. Als wäre ich ein anderer. Und als ich aus dem Traum aufwachte, war da dieses Kratzen und …«
    »Hör auf, ich glaub diesen ganzen Scheiß nicht.«
    »Dan! Ich will mich nicht über dich lustig machen. Das ist alles wahr. Der Kater hat vor der Wohnungstür gehockt und daran gekratzt. Er hatte bisher nur einmal Angst, und das war, als diese Idioten von nebenan ihr Feuerwerk gezündet haben …«
    »Na wie schön, dass es nur die Katze war. Du hast mich ganz schön drangekriegt, aber nur für eine Sekunde.«
    »Vergiss die Katze. Okay. Vergiss es. Als ich geträumt habe, hörte ich auch wieder dieses Klopfen. Dieses Pochen. Das hat den Kater so nervös gemacht, dass er mit den Krallen den Teppich bearbeitet hat. Ich ließ ihn raus, und als ich wieder in die Wohnung kam, hab ich Badezimmer und Küche inspiziert. Und auf einmal roch es wieder genauso wie in Frankreich.

Weitere Kostenlose Bücher