Der letzte Tag: Roman (German Edition)
bekommt diese Sequenzen nicht zu Gesicht, bis wir den ganzen Film fertig geschnitten haben. Als eine Art Versicherung sozusagen.«
»Ich hab unseren Vertrag noch mal durchgelesen. Er möchte in dem Film überhaupt nicht erwähnt werden. Da steht, er wolle ein Pseudonym für den Abspann verwenden. Will er seinen Namen nicht beschmutzen? Ich finde das eigenartig. Wer weiß, was dahintersteckt.«
»Genau deshalb werden wir unseren Produzenten in die Dokumentation mit einbeziehen, und zwar auf eine Art, die er sich gar nicht vorstellen kann.«
Dan nickte, nippte aber schon wieder nervös an seinem Whisky.
Kyle setzte ein bemühtes Lächeln auf. »Das macht die ganze Sache doch noch viel besser. Jetzt haben wir eine Geschichte innerhalb der Geschichte. Eine zweite Ebene. Über Max. Und über uns.«
»Und über das, was wir zutage fördern. Hast du mal darüber nachgedacht?«
»Noch ein Grund, das Projekt nicht sausen zu lassen. Allein diese eine Szene aus der Clarendon Road wird uns auf Millionen Bildschirme katapultieren. Vielleicht sogar auf die Leinwand. Großes Kino!«
Aber es gelang ihm nicht, seinen Kumpel zu begeistern.
»Ich kann meine ganzen Schulden mit dem Honorar für diesen einen Film bezahlen, aber nur wenn wir ihn fertigstellen. Und du kannst dann endlich diese blöden Hochzeiten vergessen.«
Dan nickte, wirke aber noch immer nicht überzeugt.
»Vier Drehorte. Vier Tage. Und fertig. Eine Kleinigkeit! Vier läppische Tage. Komm schon. In Amerika. Amerika! Danach ist die Sache erledigt. Und du hast dreißig Riesen in der Tasche. Den Schnitt kann ich dann mit Finger Mouse machen. Und du kannst die Sache bis zur Premiere vergessen. Bis zu den Festivals. Na? Cannes. Sundance. Die werden den Film lieben.«
Dan schaute zu Boden. »Mann, ich weiß nicht … ich glaub nicht, dass ich das kann.«
»Na toll.« Kyle nickte. »Ich kann das nämlich auch nicht ohne dich.«
»Bitte, Kyle. Lass den Film sausen.«
»Du bist ein genialer Kameramann, Dan. Ohne dich wird der ganze Film scheiße aussehen.« Kyle deutete auf den Laptop. »Das ist meine Zukunft. Genau das. Wenn ich diese Gelegenheit nicht nutze, kann ich mir auch gleich die Kehle durchschneiden.«
»Esst nicht die Gehirne. Die machen euch noch verrückter.«
Bruder Belial, Arizona 1974
Irvine Levine, Die Letzten Tage
Blue Oak Kupfermine, Sonora-Wüste, Arizona
19. Juni 2011, 14 Uhr
»Ich fühle mich, als würde ich auf der Oberfläche eines fernen Planeten stehen. Alles hier draußen wirkt fremd. Die Vegetation, die Farben der Landschaft, der Himmel, die Felsen, sogar die Luft. Die Höchsttemperatur heute lag bei achtunddreißig Grad. Der heißeste Teil des Tages ist vorbei, aber ich spüre noch immer, wie mir das Wasser aus dem Körper gezogen wird, dabei ist es erst Frühsommer. Im Hochsommer steigen die Temperaturen auf dreiundvierzig Grad. Was natürlich die Frage aufwirft: Wieso sucht sich jemand hier inmitten dieser 311 000 Quadratkilometer Wüste einen Platz zum Leben? Dies ist eine der größten Wüsten von Nordamerika. Man könnte ganz Großbritannien in die Sonora-Wüste packen und hätte immer noch hunderttausend Quadratkilometer Ödland übrig.
Die Wüste bedeckt weite Teile von Mexiko, Kalifornien, Arizona und New Mexico. Hier findet man die abgelegensten Orte der Vereinigten Staaten. Orte, an denen man völlig ungestört leben kann. So gesehen dürfte der Hauptgrund, warum Schwester Katherine im Frühjahr 1973 den Tempel der Letzten Tage hierher verlegte, die völlige Isolation von der Außenwelt gewesen sein.
Nach fünf Monaten des Herumziehens in Kalifornien behauptete sie, sie hätte eine zweite Vision gehabt, in der ihr ein
neuer Platz für ihren Tempel gezeigt worden sei: eine verlassene Kupfermine in einer Wüste. Aber inzwischen glaubt man, dass einer der Rocker, von denen die Gruppe in Los Angeles ihre Drogen kaufte, ihr von diesem Ort erzählte. Es handelt sich um eine Gegend, in der mehr Drogen und illegale Einwanderer ins Land geschleust werden als irgendwo sonst. Es ist Grenzland …«
Dan blickte von seinem Sucher auf. »Entschuldigung, aber ich kriege zu viele Reflexe von diesem Metalldach rein. Muss die Kamera ein Stück zur Seite stellen. Zwei Meter weiter nach rechts, von dir aus gesehen. Lass uns schnell machen. Das Licht hinter dir an der Wand ist jetzt rötlich, das wirkt ziemlich gut. Los, beweg deinen Arsch.«
»Hier?«
»Perfekt. Mach da jetzt weiter mit deinem Grenzland-Zeug. Und dann will ich
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