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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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in mir, keine gemütliche Vorstellung. Er bewegte Beine, Ellbogen und Pfoten, mühte sich, Platz zu schaffen zwischen Lunge, Bauch und Blase. Ab und zu durchbohrte eine sich mühende Kralle etwas, und ich wachte auf. »Was hast du denn geträumt?«, wollte Arabella wissen. Ich wusste, was der Wolf träumte. Er träumte davon, geboren zu werden. Form und Größe seiner Inbesitznahme variierte. Manchmal steckten seine Hinterläufe in meinen Beinen, sein Schädel in meinem Kopf, seine Pfoten in meinen Händen. Ein andermal war er kaum größer als ein Kätzchen und hockte sodbrennendheiß und unruhig unter meinem Brustbein. Ich wachte auf, spürte einen Augenblick lang, wie sich mein Gesicht veränderte, fasste mit der Hand nach der Schnauze, die gar nicht vorhanden war.
    Tage vergingen; der Wachzustand war keine Garantie. Man hält eine Teetasse oder die Zügel des Pferdes, und da ist die Hand, der Arm, beides sieht aus wie immer – aber die Masse ist falsch, die Länge, der Griff. Äußerlich ist man ganz der Alte. Innerlich … nicht. »Das bist nicht
du«
, sagte Arabella immer wieder. »Ich bin noch immer dieselbe, aber du nicht.« Ich entzog mich ihrer Berührung, ihrem Blick. Sich verlieben heißt, das Unbekannte bekannt zu machen. Sich entlieben kehrt den Prozess um. Ich sah zu, wie sich das Rätsel meines Wesens zwischen uns zu einem Panzer verhärtete. Wenn man jemanden nicht mehr liebt, ist das Brechen des anderen Herzens nur noch eine unangenehme Pflicht, die man hinter sich bringen muss. »Mein Gott, du liebst mich tatsächlich nicht mehr, oder?« Ganz gleich, wie anständig du bist, die Ungläubigkeit des Opfers ist potentiell lachhaft. Man
schafft
es mit Mühe, nicht zu lachen. Aber jemandem das Herz zu brechen, den man immer noch liebt, ist der blanke Horror, für niemanden witzig, vielleicht für den Teufel, wenn es ihn denn gibt, und selbst dessen Schadenfreude wird wohl durch die Tatsache geschmälert, dass er nichts damit zu tun hat, dass es ein Werk des dummen, verschwenderischen Zufalls ist. Der Teufel sucht nach einem Sinn, wie wir alle. Einmal, als ich dachte, Arabella sei mit dem Rücken zu mir eingeschlafen, hatte sie in den tiefsten Nachtstunden zu mir gesagt: »Leg deine Arme um mich«, und das hatte ich getan, hatte ihre Brüste in die Hände genommen und meine Nase in dem warmen Flaum ihres Nackens vergraben – und spürte ein weiteres Stück ihres Glaubens an mich sterben, weil irgendetwas uns voneinander fernhielt, obwohl wir Haut an Haut lagen. Ich. »Kannst du nicht zu mir kommen?«, fragte sie und klammerte sich noch fester an mich. »Ich bin immer noch hier. Ich warte auf dich.«
    Die einfachsten Aufgaben erforderten größte Konzentration: eine Treppe hinuntergehen, eine Tür öffnen, Reitstiefel anziehen. Ich hatte Erinnerungen, die nicht die meinen waren. Hüfttiefer Nebel teilt sich um mich herum. Bäume fliegen vorbei. Mondlicht auf einem Bergsee. Ein junges Mädchen mit zerfetztem Oberschenkel auf einem Waldboden, nackter weißer Puppenkörper auf einem Bett dunkelgrüner Farne, Augen offen, tot. »Jacob, wo bist du?«, wollte Arabella wissen. »Siehst du etwas?« Ja, ganz bestimmt. Seine krummen, zittrigen Hinterläufe zertrampelten Glockenblumen. Die drei vom Mond beschienenen Reiter sahen aus wie ein
tableau vivant
von Uccello. Der Schleim in seiner Kehle hatte gerasselt. Ich schlief in meinem Sessel ein, mein Arm hing herab, und ich wachte auf, spürte das sanfte, kalte, fließende Wasser des Bachs und mein vom Blut warmschweres Hemd. Ich musste aufstehen, das Zimmer verlassen, das Haus,
sie.
    Zwei Wochen waren seit meiner Rückkehr aus Wales vergangen, und Tag für Tag litt ich die Qualen, die Frau zu foltern, die ich liebte, die Frau, die mich liebte. In Augenblicken größten Selbstmitleids hasste ich sie dafür. Eines Nachts erwachte ich mit offenem Mund, die Zunge hing mir heraus, der Körper riss fast unter der Form des Wolfs auf, und ich stand auf, ließ sie schlafen, ging hinaus auf den Rasen. Der Mond wusste es. Der Mond wusste keine Ahnung was. Der Mond war eine unerklärliche Schwangerschaft, eine vorenthaltene Linderung, eine Liebe, gerissener als Mutterliebe. Der Mond wollte ein Geheimnis mit mir teilen. Noch nicht. Jetzt noch nicht. Ich wanderte über die Felder, kroch tau-klamm vor Sonnenaufgang wieder ins Bett. Arabella war aufgewacht, hatte mich nicht vorgefunden, was eine weitere Schicht des Leugnens herunterriss.
    »Das wird mich fast umbringen, aber

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