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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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in ein Ungeheuer verwandelt. Manchmal glaubte ich schon fast, ich könnte – im Rauschen der Blätter, im Glucksen des Wassers, im sanften Klagen der dünnen Luft – die Verdammnis des Herrn hören. Dieses Gefühl wurde jedoch stets von einem noch schlimmeren verdrängt: Dort, wo sich eigentlich Gottes Verdruss hätte bemerkbar machen müssen, war tatsächlich nichts anderes als Stille, so groß wie das Universum. Diese Andeutung, der Nachthimmel könne ein aufgelassenes Lagerhaus voller Sterne sein, die Erde könne Flora und Fauna in geradezu epischer Bedeutungslosigkeit einfach so hervorbringen, war ein so unerwartet riesiger Schrecken, dass ich mich geradezu erleichtert auf die Überzeugung von Gottes Zorn einließ.
Hat Er, der das Lamm erschuf, auch dich erschaffen?
    Als ich Archer Grange erreichte, den zweihundert Jahre alten Steinhaufen, den Charles mit seiner Mutter, der älteren Schwester, dem tauben Onkel, drei Bullmastiffs und vierundzwanzig Hausangestellten bewohnte, war es dunkel. Mutter und Schwester verbrachten den Sommer in Bath (ein Glück: Lady Brooke missbilligte meine Kaufmannsherkunft, Miss Brooke missbilligte meine Frau). Ich stritt mich mit Charles. Ich tischte ihm die Geschichte auf, dass Arabella und ich uns das erste Mal gestritten hätten, dass ich dummes Zeug gesagt hätte und hinausgestürmt sei, dass ich eine Flasche aus seinem Keller und ein Bett für die Nacht bräuchte, dass der Marsch bis zu seinem Haus mir Zeit genug gelassen hatte, um zu erkennen, dass ich ein Dummkopf gewesen sei, dass ich am nächsten Tag zurückkehren und wieder Frieden schließen würde. Alles gut und schön, doch mein Freund war nicht blind. Ich war schweißgebadet und zitterte. »Du siehst aus, als hättest du mit einem Bären gerungen, um alles in der Welt. Wir müssen Dr. Giles rufen. Ein Diener soll ihn holen …« Ich redete Charles das aus, doch die Anstrengung brachte mich fast um. Nur dank der geschickt verlegen gespielten Ausrede, ich sei ausgerutscht und in den Bach gefallen, hätte mir dabei das Knie angeschlagen, und der Einwilligung, einen warmen Brandy und die legendären Kräuterkompressen einer der Hausangestellten zu nehmen und früh zu Bett zu gehen, konnte ich den Arzt abwenden. Und selbst dann bestand Charles darauf, mich selbst zu verarzten. Da er selbst bald zu heiraten gedachte, wollte er alle Einzelheiten des frei erfundenen Ehestreits wissen, und während er mir Mrs Collingwoods übelriechenden Breiumschlag auflegte, ertappte ich mich ungläubig, ja fast erheitert dabei, wie ich mir irgendwelchen Unfug ausdachte über den aberwitzigen Geschmack meiner Frau in Bezug auf die Inneneinrichtung und über mein irrationales Zögern, irgendetwas an den Möblierungen in Herne House zu ändern. Es war ein ziemliches Schauspiel. Ich lag im größten Gästezimmer mit Blick auf die kunstvoll angelegten Vorderbeete und den mit einem Springbrunnen versehenen Rasen von Grange. Der Mond würde über die Pappelreihe am Rand der Rasenfläche steigen. Noch knapp eine Stunde. Zweimal überkam mich fast der Drang, Charles das Gesicht mit bloßen Händen abzureißen. Nur der Brandy – von dem ich eine halbe Flasche getrunken hatte, bevor er mich der Nachtruhe überließ – rettete ihm das Leben.
    Ich lag eine scheinbar lange Zeit da und wartete darauf, dass geschah, was ich nicht glauben mochte, von dem ich glaubte, dass es geschehen würde, wusste, dass es nicht sein konnte, wusste, dass es so sein würde. Der Duft der Heckenkirsche, die am Spalier gezogen direkt unter dem offenen Fenster wuchs, vermischte sich mit dem Geruch des Zimmers nach altem Holz und nach Lavendel duftender Bettwäsche. Aus irgendeinem Grund widerstand ich dem Drang, aufzustehen und auf und ab zu laufen. Der Breiumschlag fühlte sich an wie eine riesige Zecke. Ich riss ihn ab und warf ihn in den Nachttopf. Ich packte die Kerze, die am Bett stand, um zu sehen, ob das Wachs in meinen Händen schmolz. Das tat es nicht. Ich ließ sie auf den Boden fallen. Ich verließ meinen Körper für ein paar Augenblicke, lang genug, um ihn von oben zu betrachten, wie er zitternd auf dem Bett lag. Blass, bleich, die Knie angezogen. Charles hatte mir ein Nachthemd geliehen. Ich zog es aus, versengte und zerkratzte mich dabei. Verrückte amerikanische Vorstellungen von Stil, hatte ich gesagt. Darüber musste ich laut lachen. Und wenn wir in einem Schuppen gehaust hätten, Arabella wäre es egal gewesen. Ihre dunklen Augen waren rotgolden

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