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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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konnte. Ich hatte die Gleichgültigkeit, die
Herablassung
der Liebe gegenüber Gott nicht gekannt. Arabella war ein Jahr älter und zehn Jahre tiefer als ich. Sie liebte mit der nebensächlich herrischen Haltung des Geburtsrechts. Ich liebte im Schrecken, sie zu verlieren. Die Angestellten von Herne House hätten nicht erstaunter sein können, wenn ich einen weiblichen Orang-Utan aus Borneo geheiratet hätte.
    »Was möchtest du?«, hatte ich sie eines Morgens in der ersten Woche unserer Ehe gefragt. Wir lagen im Bett, sie mit über dem Kopf gekreuzten Handgelenken, ich auf einen Ellbogen gestützt, ihre Nacktheit streichelnd (die Haut ist unendlich. Ich muss jedes einzelne Stück durch Berührung kennenlernen, doch jedes Stück erneuert sein Rätsel, kaum dass meine Hand sich bewegt hat. Köstliche, endlose Sinnlosigkeit).
    »Ich möchte so sein, wie ich gerade bin«, antwortete sie. Die Sonne lag auf ihr wie ein gutwilliges intelligentes Wesen. »Ein glückliches Geschöpf. Ich möchte Unterhaltung und Gras unter meinen Füßen und kaltes Wasser zum Trinken und dies hier« – sie berührte meinen Penis –, »das vor Hunger nach mir wächst, und einen gelegentlichen Blick auf meinen eigenen Tod, damit ich wieder die Schönheit und Kostbarkeit des Lebens vor Augen habe. Da hast du sie. All die Wünsche von Arabella Jackson – Arabella Marlowe.
Mrs 
Arabella Marlowe, um genau zu sein. Was denkst du?«
    Die Hausgeister waren voll entsetzter Ehrfurcht ihr gegenüber. »Ich denke, ich werde für immer rennen müssen, um mit dir Schritt halten zu können«, antwortete ich.
    Etwa ein Jahr lang also nahmen wir, wir nahmen und nahmen ohne Übermaß von diesem Erbe, das sich täglich erneuerte.
    Dann war ich Mitte Juli mit Charles nach Snowdonia gegangen.
    Die Frage ist: Wie lange hält Fassungslosigkeit an?
    Wie lange klammert man sich an den Gedanken,
Das gibt es doch gar nicht
, wenn genau das aus der Dunkelheit aufgetaucht ist und seine Zähne in einen versenkt hat? Antwort: Nicht sehr lange. Meine Mutter war eine begeisterte Konsumentin von Gespenstergeschichten gewesen, doch mehr als all die
Vatheks
und
Frankensteins
und
Mönche
und
Udolphos
zog mich in meiner Kindheit ein teuflisch illustriertes
Bestiarium der Mythen und Sagen
in die Bibliothek. Es war auf Deutsch verfasst (mein Vater, ein entschiedener Monoglott, musste es wohl wegen der phantastischen Stiche erworben haben), und ich konnte kein Wort davon lesen. Das brauchte ich auch nicht. Die Bilder reichten. Ich kehrte einen Tag früher als geplant aus Wales zurück (Arabella unternahm einen Spaziergang) und eilte aus der Kutsche schnurstracks zu den vor sich hingammelnden Bücherstapeln. Es war ein heißer Nachmittag voller zitternder Blätterschatten. Der Staub auf den Wandteppichen lag dort schon seit der Glorreichen Revolution. Natürlich war das Buch noch da. Die Bibel. Lockes
Essay
. Der komplette Shakespeare. Newtons
Principia Mathematica
. Ich schlug die Seiten des
Bestiariums
auf und spürte, wie diese Wälzer, eine respektable Familie, die wusste, dass ihr schmachvolles Geheimnis gelüftet werden würde, nervös wurden und die Lippen zusammenpressten. Das Zimmer war warm, goldfarben erhellt, voller umherschwebender Stäubchen. Mir kribbelten die Hände. Man erkennt einen Bruch, bevor man ihn sieht.
    WERWOLF .
    Auf dem ganzseitigen Stich stand er auf den Hinterläufen, das Maul aufgerissen, die Zunge rollte sich martialisch.
    Man sollte meinen, dass dies alles geklärt hätte. Tat es nicht. Stattdessen löste das Bild eine kurze Phase entschiedener,
erleichterter
Skepsis aus. Lächerlich. Vollkommen lächerlich. Ich klappte das Buch zu, nicht als hätte es eine erschütternde Wahrheit erzählt, sondern eine unverschämte Lüge verbreitet.
    Eine kurze Phase, wie gesagt.
    Die Verwandlung ist heute nichts Besonderes mehr (sie ist in weniger als zwei Minuten vorüber), aber so war es nicht immer. Der Vorgang muss dich erst kennenlernen, dich erforschen, den bequemsten Ablauf erkunden. Wie Mord, wie Sex, wie eigentlich alles, wird es leichter, je öfter man sich verwandelt, je öfter es dich verwandelt, aber es gibt keinen Standard, keine Konsistenz. Bei manchen klappt es nach drei Monaten bestens, andere durchleiden ganze höllische Jahrzehnte nach dem ersten Biss. Doch ganz gleich, wie lange die Verwandlung braucht, um es sich gemütlich zu machen, die
allererste
Verwandlung vergisst ein Werwolf niemals.
    In meinen Träumen schlummerte ein kleiner Wolf

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