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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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Wort ›unerträglich‹ ist eine Lüge per se. Es sei denn, man bringt sich nach der Verwendung des Wortes auf der Stelle um.«
    Seit meiner Rückkehr von Snowdonia hatte Arabella selbst verschiedene Phasen durchlaufen. Zu Anfang unschuldiges Interesse. Zweimal war der Arzt wegen meines Fiebers und der Krämpfe gerufen worden, beide Male waren die Symptome abgeklungen. Es gab noch weitere Anzeichen – Kopfschmerzen, Sehstörungen, Albträume, Augenblicke objektloser Verzückung – doch die hatte ich so gut wie möglich verborgen gehalten. Dieses Verschleiern hatte mich ausweichend und mürrisch werden lassen und Arabella in die nächste Phase nicht mehr ganz so unschuldiger Sorge versetzt, die eine oder andere Frage nach ›irgendwelchen mitwandernden Begleitern‹, denen Charles und ich auf der Reise begegnet seien, eine neue investigative Entschlossenheit im Bett, etwas Suchendes, Verwirrtes, das sich in Angst verwandelte, wenn ich mich immer und immer wieder wie in Ekel oder Verachtung von ihr abwendete. Zum Schluss kam dann angesichts meiner sprunghaften Launen und unerklärlichen Handlungen (ich packte sie, schloss vor den Dienern ab, öffnete ihre Kleidung, spürte, wie sie sich erleichtert öffnete – nur um mich dann zurückzuziehen, zu fluchen, um Vergebung zu bitten, sie zu verlassen und stundenlang auf dem Anwesen herumzureiten oder -zulaufen) die augenblickliche Phase: die fast vollkommene Überzeugung, dass all die Dinge an ihr, die ich einst geliebt hatte, nun genau die Dinge waren, die ich verachtete.
    »Habe ich mich wirklich so getäuscht?«, fragte Arabella. Ich konnte spüren, dass sie mich ansah, starrte aber weiter auf den Teppich. Das Pulsieren der Gold- und Brauntöne im Muster geschah im Takt zu meinem Puls. »Habe ich mir deine Seele wirklich so viel größer vorgestellt, als sie tatsächlich ist?« Andere Frauen hätten sich selbst die Schuld gegeben. Arabella nicht. Sie behielt ihre großartige Selbstsicherheit. Tief in meinem verwirrten Innersten segnete ich sie für ihre Einzigartigkeit. »Ich glaube nicht, dass ich mich derart getäuscht haben kann«, fuhr sie fort. »Na, vielleicht schon. Ich bin Amerikanerin. Wir leiden am Fortschritt. Jacob? Sieh mich an.«
    Ironie, so groß wie ein Fest: Arabella glaubte, ich würde an einer Umkehr meiner Moralvorstellungen leiden. Sie glaubte, dass mein Benehmen seit der Rückkehr auf einem Wiederaufflammen von Anstand beruhte: eine Frau fürs Bett, aber nicht für den Traualtar, so die allgemeine Ansicht. Bei unserer ersten Unterhaltung an einem gemeinsamen Frühstückstisch im Metropole hatten ihre Augen offen aufgeklärtes Gefallensein ausgestrahlt.
An Evas Stelle hätte ich dasselbe getan, und du an Adams Stelle. Gott hat sein Geld auf Scham gesetzt und verloren. Nun liegt es an uns, das Beste aus dem zu machen, was wir gewonnen haben
– und die ganze Zeit über bestrich sie eine Scheibe Brot mit Butter, wir sprachen über Genf, ihre Tante schwatzte mit Charles, das weiße Tischtuch erfüllte sich mit Sonnenlicht, das Silber blinkte. Ich wusste es vom ersten Augenblick an. Arabella auch. Dieses Wissen blieb uns ständiger Quell latenter Freude. Sie war brünett, hatte eine milchweiße, weiche Haut, war ein wenig füllig in den Hüften. Ihr Vater hatte im Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten gekämpft. Sie war Schauspielerin gewesen, hatte Modell gestanden, war ein- oder zweimal Mätresse gewesen, bei all dem eine eifrige Leserin geblieben. Völlig verarmt, wäre sie in Boston beinahe an einer Lungenentzündung gestorben. Ihre einzige noch lebende Verwandte, die schwer unter Verdauungsstörungen leidende Tante Eliza, war aus Philadelphia herbeigeeilt und hatte sie zu dem einzigen Zweck aufgenommen, ihr einen reichen Ehemann zu suchen, vorzugsweise einen Europäer, der Arabella weit weg bringen und Eliza für immer eine große Sorge abnehmen würde. Arabellas Einwilligung zu diesem Plan beruhte zum Teil auf Neugier, zum Teil auf Erschöpfung. Sie hatte ihre Liebschaften gehabt, sich aber nie verliebt. Fünfzehn Jahre lang zum Leben niemals nein gesagt zu haben, hatte ihr alle Furcht – und alle Konventionen – genommen. Als wir das erste Mal miteinander ins Bett gingen, taten wir mit sanfter Gier alles, was uns einfiel, was, nachdem ich mein erstes Erstaunen abgelegt hatte, sehr viel von dem war, was man überhaupt machen kann. Ich hatte nicht gewusst, dass das Verlangen ganze Egos ineinander verschmelzen und wieder voneinander trennen

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