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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Endres
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sie.
    Der andere Morgen brachte für die Geschwister eine Überraschung, die alles, was sie in den letzten beiden Tagen erlebt hatten, in den Schatten stellte.
    Valentina, die als Erste die Treppe herunterkam, blieb wie vom Donner gerührt stehen. Sie klammerte sich am Geländer fest und starrte in die vom Morgenlicht durchflutete Diele. Herr Bozzi hob den Kopf und wedelte sacht mit dem Schwanz.
    „Morgen!“ Phil, noch im Schlafanzug, trottete verschlafen an seiner Schwester vorbei.
    Valentina hielt ihn wortlos am Ärmel fest und deutete mit zitterndem Finger nach unten.
    Phil fuhr zurück. Mit aufgerissenen Augen blickte er auf die Stelle, wo sie am Abend vorher einen weißen Hund zurückgelassen hatten. Heute lag da, zusammengerollt und in festem Schlaf, ein altertümlich gekleideter Junge, der aussah, als wäre er bei einem Kostümfest gewesen. Herr Bozzi schmiegte sich an ihn, als seien sie schon immer beste Freunde gewesen.
    Valentinas Gedanken überstürzten sich. Das hier entzog sich auch beim besten Willen jeder rationalen Erklärung. So absurd es auch schien, es war sonnenklar: Dieser fremde Junge war gestern noch ein Hund gewesen.
    „In was sind wir da bloß hineingeraten?“ Ihre Stimme klang, als hätte sie Sandpapier gegessen.
    „Vielleicht ist er ein Einbrecher …“, flüsterte Phil, offenkundig an seinen eigenen Worten zweifelnd.
    Valentina schüttelte den Kopf. „Seit mir dieses Seidentuch entgegengeschwebt ist, passieren andauernd die seltsamsten Dinge. Es muss mit diesem Zeichen zusammenhängen, dieser Mondlilie. Das Feuerwerk. – Und im Tempel haben wir das Symbol auch wieder gesehen. Dann diese fantastische Sache mit dem Hund. – Er war definitiv aus Stein! Ich bin doch nicht blind!“
    Ohne den Blick von dem Jungen abzuwenden, murmelte Phil: „Das Buch, es ist mir vor die Füße gefallen. Von ganz alleine. Ich bin wirklich nicht mal drangekommen.“
    „Ob er ein Geist ist?“ Valentina lief es eiskalt den Rücken hinunter. „Erinnerst du dich noch an diese Fernsehdoku? Signale aus einer anderen Welt.“
    „Wer glaubt denn so was?“ Ihr Bruder zuckte mit den Schultern. „Ich jedenfalls nicht.“
    „Und das da?“ Valentina machte eine Kopfbewegung in Richtung des Fremden. „Das glaubst du also auch nicht?“
    Phil fuhr sich durch die Borstenhaare. „Glauben …“ Er verstummte, seine Pupillen weiteten sich.
    Der Junge schien aufzuwachen, denn er regte sich plötzlich. Ihre Unterhaltung musste ihn geweckt haben. Von den Geschwistern atemlos beobachtet, schlug er die Augen auf und dehnte sich, rappelte sich umständlich hoch und blickte sich um, als sei er soeben vom Mond gefallen. Herr Bozzi beäugte ihn mit erwartungsvoll aufgerichteten Ohren. Als der Blick des Jungen die beiden traf, nickte er verwundert und machte eine angedeutete Verbeugung.
    „Oh weh!“ Er fasste sich mit schmerzverzerrter Miene an die Stirn. „Mich dünkt, mir springt der Kopf entzwei.“
    Wie hypnotisiert auf den seltsamen Jungen starrend ging Valentina die Treppen hinunter. Allein sein Äußeres zog sie magisch in Bann. Er war groß und schlank, sie schätzte ihn ein, zwei Jahre älter, als sie es war. Sein blondes halblanges Haar war zu einem Nackenzopf gebunden, der von einer schwarzen Schleife gehalten wurde. Die Beine steckten in eng anliegenden hellen Kniehosen, darunter weiße Strümpfe und lackglänzende Schnallenschuhe. Am Oberkörper trug er ein aufwendig gefälteltes Hemd mit weiten Ärmeln, die in breiten Spitzenmanschetten endeten. Darüber eine reich bestickte Weste mit Goldknöpfen und um den Hals ein üppiges Spitzenjabou, an dem er nun nestelte, um sich mehr Luft zu verschaffen.
    Phil kam seiner Schwester in einigem Abstand nach.
    Valentina nahm all ihren Mut zusammen. „Hi“, sagte sie leise und hob zaghaft die Hand.
    Der Junge richtete seine hellblauen Augen auf sie und löste damit den gleichen Schauer aus, den sie auch gestern verspürt hatte.
    Wieder verbeugte er sich. „Ihr untertänigster Diener, verehrte Mademoiselle. Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereite. Wären Sie so gütig, mir verständlich zu machen, was mir geschehen ist.“
    Seine Stimme klang sanft und jung, dennoch aber männlich.
    Valentinas Beklemmung löste sich etwas. Der Junge hatte nichts Furchterregendes an sich, auch wenn er sich höchst merkwürdig benahm. Sie räusperte sich. „Wenn ich das wüsste. – Bist … bist du ein Geist?“
    Der Junge schien ihr die Frage nicht übel zu

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