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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Endres
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Weißt du, was ich glaube …?“
    Valentina nickte unsicher. „Die ersten Flügel wurden, glaub ich, erst nach Achtzehnhundert gebaut, das musste ich mal für Musikgeschichte lernen. Aber ist das möglich …?“
    „Nein!“ Phil schüttelte den Kopf. „Es ist völlig unmöglich, und trotzdem gibt es keine andere Erklärung. Er muss aus einer anderen Zeit kommen!“
    Valentina betrachtete den Jungen. Seine seltsame Weise zu sprechen, seine Kleidung, alles deutete daraufhin, dass er in einer anderen Epoche zu Hause war. Rokoko, dachte sie mit einem Blick auf die pompöse Spitzenkrawatte um seinen Hals. „Achtzehntes Jahrhundert würde passen“, murmelte sie ihrem Bruder zu, während sie dem blonden Pianisten lauschten, der jetzt eine kleine Sarabande hören ließ. Das Musizieren schien ihn zu beruhigen. Der verwirrte Ausdruck auf seinem blassen Gesicht war entspannter Gelöstheit gewichen.
    Doch auf einmal unterbrach er sein Spiel. „Dorian“, sagte er und legte die Hände in den Schoß. „Dorian werde ich genannt. Ich glaube, mich wohl zu entsinnen.“
    „Dorian“, wiederholte Valentina. „Und wie noch?“
    Der Junge antwortete nicht.
    „Erinnerst du dich wenigstens noch, wie du hierher zu uns gekommen bist?“
    Aber selbst das wusste Dorian nicht mehr. Er schien alles, was vor seiner Verwandlung in menschliche Gestalt geschehen war, vergessen zu haben.
    „Komplettausfall“, flüsterte Valentina Phil zu, während der Junge am Flügel blicklos vor sich hin starrte. „Er muss Schreckliches durchgemacht haben. Wenn wir ihm erzählen, wie wir ihn gefunden haben, hilft ihm das vielleicht weiter.“
    „Einen Versuch ist es wert“, sagte Phil. „Dorian …“ Leise und behutsam berichtete er, was tags zuvor geschehen war und zu welch unglaublicher Vermutung sie gekommen waren.
    Der Junge hob den Kopf und hörte ihm aufmerksam zu. Als Phil den Namen Amalia von Treuenstein nannte, verdunkelten sich seine Augen und füllten sich mit Tränen. Dann schlug er die Hände vors Gesicht. „Weh mir, meine liebe Frau Mama!“
    Valentina durchrieselte es kalt. „Amalia von Treuenstein ist deine Mutter?“
    Dorian antwortete nicht.
    „Wow!“ Phil starrte den blonden Jungen am Flügel fassungslos an.
    „Kannst du dir erklären, was passiert ist? Wie es kommt, dass du … wieso du …?“ Valentina stockte. Es hatte wenig Sinn, weiter in den offensichtlich völlig verwirrten Jungen zu dringen.
    Der Junge schüttelte den Kopf, dass sein Zopf flog, ungeduldig, ja zornig, als wolle er damit sein Gedächtnis in Schwung bringen. „In meinem armen Kopfe herrschet dunkle Nacht.“ Er stöhnte. „Allein das Abbild meiner schönen Mutter gewahre ich vor mir. Ein grimmer Schmerz fügt sich hinzu, des Ursache mir Elendem entfallen ist.“ Er sackte nach vorn und wirkte so verloren, dass es Valentina das Herz abdrückte. Verloren in der Dunkelheit seiner eigenen Geschichte, verloren in einer Zeit, in die er nicht gehörte.
    Für einen Moment herrschte ratloses Schweigen. Dann gab sich Valentina einen Stoß. „Das Beste wird sein, wir frühstücken erst mal. Vielleicht kurbelt das auch Dorians Gehirn etwas an. Er muss ja eine halbe Ewigkeit nichts in den Magen bekommen haben.“
    „Über zweihundert Jahre“, murmelte Phil. „Verdammt, ich komm mir vor, als wär ich in einem Roman gelandet.“
    Isoldes Küche mit ihren modernen Errungenschaften lenkte Dorian vorübergehend ganz von seinen trüben Gedanken ab. Auch wirkte inzwischen die Kopfschmerztablette, wie er auf Valentinas besorgte Nachfrage dankbar bestätigte. Sein zeitlicher Hintergrund schien ihm noch völlig bewusst zu sein, denn er maß alles an den Verhältnissen seines Jahrhunderts. So wie ein Schauspieler, der zwar die Requisiten noch erkennt, dem aber Stück und Text entfallen sind.
    Dinge, die Valentina und Phil so selbstverständlich waren, dass sie noch nie darüber nachgedacht hatten, versetzten ihn in höchste Verblüffung. Die Funktionsweise eines Mikrowellenherds oder Kühlschranks schien seine Aufnahmefähigkeit dann doch zu übersteigen.
    „Welche Kräfte wirken hier? Mich dünkt, hier sei Magie am Werke“, bemerkte er, als er vor Kälte schaudernd das Eisfach wieder schloss.
    Phil lächelte. „Magie? – Nein, nur natürliche Kräfte. – Warte mal …“ Er biss sich grübelnd auf die Lippe. Wie erklärte man jemandem, der aus dem achtzehnten Jahrhundert gefallen war, was Elektrizität ist? „Du weißt doch, was ein Blitz

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