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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Endres
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ihm zudem eine beängstigend fremde Welt vorführten, schon nach kurzer Zeit erneut Kopfschmerzen zu bereiten, sodass Phil den Apparat bald wieder ausschaltete.
    Anders als erhofft, machte Dorian aber keinen wesentlichen Fortschritt, was sein Erinnerungsvermögen anging.
    „Wenigsten wissen wir jetzt, dass du Dorian von Treuenstein heißt“, sagte Phil, als sie am Nachmittag in seinem Zimmer saßen.
    Dorian runzelte die Stirn und schüttelte langsam den Kopf. „Von Treuenstein …“, wiederholte er bedächtig. „Das ist der Mutter Name. Indes …“
    Valentina, die auf Phils Sitzsack mehr lag als saß, raffte sich hoch. „Normalerweise heißen Kinder doch nach ihrem Vater. – Klingelt es da bei dir, Dorian?“
    Dorian erwiderte ihren fragenden Blick in einer Mischung aus Ratlosigkeit und Verzweiflung.
    „Spielen wir Karten, das lenkt ab“, schlug Valentina vor. „Die Grübelei bringt gar nichts! Ich fürchte, sie ist eher schädlich.“
    Phil stand auf. „Okay, von mir aus. Spielen wir eine Partie.“
    Isolde, die eine leidenschaftliche Rommé-Spielerin war, hatte ihren Enkeln das Spiel beigebracht, kaum dass ihre Hände groß genug waren, die Karten zu halten.
    Etwas wie Erkennen flackerte in Dorians hellen Augen auf, als er wenig später neben Valentina auf dem Wohnzimmersofa saß. Seine schlanken Hände sortierten die Spielkarten geschickt zu einem Fächer.
    „Erinnerst du dich etwa an das Spiel?“, erkundigte sich Phil.
    „Ein französisches Blatt, man spielt Tarock damit.“
    Doch mit wem und wo er gespielt hatte, wollte sein Gedächtnis, trotz angestrengten Nachdenkens, nicht preisgeben. Rommé schien ihm neu zu sein, doch fand er schnell Spaß an dem Spiel. Valentina beobachtete ihn verstohlen. Irgendwie war es doch erstaunlich, wie er sich, fast selbstverständlich, in ihrer Zeit zurechtfand. Sie überlegte, wie es wäre, wenn sie plötzlich ins achtzehnte Jahrhundert katapultiert würde. Aber das Gedankenspiel überstieg ihr Vorstellungsvermögen. Dorian beugte sich vor, um eine Karte vom Stapel zu nehmen, ihre Knie berührten sich. Valentina schoss das Blut in den Kopf. Verdammt, was war denn mit ihr los?
    Gegen Abend riefen die Eltern an. Valentina, die das Gespräch annahm, hielt es für klüger, die jüngsten Erlebnisse für sich zu behalten. Dass sie einen Besucher aus dem achtzehnten Jahrhundert beherbergten, war nichts, was man am Telefon besprechen konnte. – Es war nichts, das man überhaupt mit irgendjemandem besprechen konnte. Auf die Frage, ob daheim alles in Ordnung sei, erzählte sie von Herrn Bozzi und dem Wetter und erkundigte sich dann ausführlich nach Wien, nach dem Hotel und den Plänen der Eltern.
    „Macht euch keine Sorgen, alles bestens. – Ja, ich sag's ihm …“ Damit legte sie schließlich auf.
    „Mum und Dad lassen dich grüßen“, sagte sie zu Phil und ließ sich ins Wohnzimmersofa zurückfallen.
    „Welch magische Apparatur!“, bemerkte Dorian mit einem bewundernden Blick auf das Telefon. „Mir schien, verehrte Mademoiselle, Sie führten eine Unterhaltung mit einer Person, die nicht in diesem Raume weilt.“
    Valentina nickte. „Stimmt, das ist ein Telefon, aber frag mich bitte nicht, wie es funktioniert.“ Dann stand sie auf. „Ich geh jetzt kurz mal mit Herrn Bozzi raus. Es wird höchste Zeit.“
    Dorian erhob sich ebenfalls. „Erlauben Sie mir, liebe Mademoiselle, Sie begleiten zu dürfen.“
    Valentina schwieg. Schon an der Tür drehte sie sich zu dem blond bezopften Jungen mit den Kniebundhosen um und musterte ihn verlegen. „Dorian, tut mir leid, aber in diesem Aufzug …“
    Dorian sah verblüfft an sich herab. Dann überschatteten sich seine Züge. Valentina biss sich auf die Lippen und verließ eilig das Zimmer, um die Kränkung in seinem Gesicht nicht länger ertragen zu müssen.
    Als sie zurückkam, übte ihr Bruder Geige. Dorian stand ebenfalls am Flügel und hörte ihm aufmerksam zu, wobei er ihn ab und zu unterbrach, um ihm einen Rat zu geben, den sich Phil bereitwillig anhörte. Dorians Spiel musste ihn schwer beeindruckt haben, denn normalerweise ließ er sich nicht gern verbessern. Als Phil die Geige weglegte, setzte sich Valentina an den Flügel und nahm sich wieder die leidige Chopinsonate vor, mit der sie einfach nicht vorankam. Dorian schien den kleinen Misston von vorhin überwunden zu haben, denn er stellte sich mit einem Lächeln neben sie. „Erlauben Sie, Mademoiselle?“
    „Du kannst zuhören, aber ich bin noch längst

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