Der letzte Werwolf
nicht so weit mit dem Stück. Chopin ist verdammt schwierig, man bricht sich die Finger.“
„Chopin?“, wiederholte Dorian grübelnd. „Ein Franzose, dem Namen nach?“
„Halb“, sagte Valentina, „sein Vater war Franzose, seine Mutter Polin.“
Mit einem Seufzer begann sie zu spielen, während Dorian interessiert der Notenschrift folgte.
„Ein diffiziles Stückchen, mit wahrlich unerhörten Harmonien. – Die liebe Frau Mama hätte gewiss Plaisir daran gehabt. Im Tastenspiel und auf der Violine war sie eine Meisterin.“
Valentina wirbelte herum. „Deine Mutter? Das stimmt. – Du erinnerst dich? Amalia von Treuenstein muss eine begnadete Musikerin gewesen sein. Unsere Schule ist nach ihr benannt.“
„Oh ja, verehrte Mademoiselle.“ Dorian nickte. „Sie lehrte mich in der Musik. Doch ist, was ich in diesem Fach vermag, bescheiden und kann sich mit ihrer Kunst nicht messen.“
Valentina fiel ein Stein vom Herzen. „Allmählich kehren deine Erinnerungen zurück. Es ist nur eine Frage der Zeit. – Und dann wissen wir vielleicht auch, was das alles zu bedeuten hat.“
Nach dem Abendessen, bei dem Herr Bozzi engelsgleich unterm Tisch lag, bereiteten die Geschwister gemeinsam das Bett im Gästezimmer.
„Mich dünkt befremdlich, dass keine Dienerschaft im Hause ist“, bemerkte Dorian, der im Türrahmen stand und ihnen dabei zusah.
Phil lachte. „Die Zeiten sind vorbei!“ Damit drückte er seinem verdutzten Gast ein Kopfkissen und einen Überzug in die Hand.
Mit gerunzelter Stirn legte Dorian beides über einen Stuhl. „Verzeiht, dergleichen ist meinem Stande nicht angemessen.“
„Achtzehntes Jahrhundert, kleiner Bruder“, zischte Valentina dem verblüfften Phil zu und überzog das Kissen mit wenigen Griffen selbst.
Da Phil über einen Kopf kleiner war als der blonde Junge, suchte Valentina einen Schlafanzug und einen Morgenmantel aus dem Schrank ihres Vaters. Dann übernahm es ihr Bruder, Dorian, der erwartungsvoll hinter ihm herging, das Bad zu zeigen.
Kurze Zeit später riss Phil die Tür zu Valentinas Zimmer auf. „Wow!“ Er ließ sich aufs Bett fallen. „Mich hat's fast umgehauen! Stell dir vor, Dorian ist nicht im Spiegel zu sehen.“
Valentina klammerte sich mit dem Gefühl, der Boden unter ihr wanke, an ihrem Schreibtischstuhl fest. „Geister. – Geister sind nicht im Spiegel zu sehen.“ Ihre Stimme klang, als hätte sie eine Klette verschluckt.
Phil setzte sich auf. „Alles ist so total verrückt und auf der anderen Seite auch wieder so verdammt real. – Ich meine, er hat heute Abend vier riesige Käsebrote verdrückt, der ganze Camembert ist weg. – Essen Geister Camembert?“
Seine Frage blieb unbeantwortet, denn in diesem Moment trat Dorian ein. Er trug den grün-rot gestreiften Morgenmantel ihres Vaters und war von einer derart penetranten Duftwolke umgeben, dass sogar Herr Bozzi vor ihm zurückwich.
„Ach du Schande!“ Phil hielt sich die Nase zu.
„In was hast du bloß gebadet?“, erkundigte sich Valentina.
„Ein Bad? Mitnichten, liebe Mademoiselle“, entgegnete Dorian. „Ein Bad zu nehmen schien mir, so gänzlich ohne Dienerschaft, nicht opportun. Doch machte ich von dem Parfumflakon Gebrauch, wenngleich der Zweck der hölzernen Späne sich mir nicht erschloss.“
Valentina schnupperte, dann war ihr alles klar. „Ich glaub's einfach nicht!“, sagte sie zu Phil. „Er hat sich mit Isoldes Raumlufterfrischer eingerieben. Du weißt schon, dieses Stinkezeug mit den Holzstäbchen drin.“
Phil verzog, schwer um Beherrschung kämpfend, das Gesicht. Einen Atemzug später platzte er laut heraus, er fiel vor Lachen zurück aufs Bett.
Dorian quittierte Phils Heiterkeitsausbruch mit einem irritierten Lächeln.
„Dorian“, sagte Valentina, ein Grinsen unterdrückend. „Heutzutage ist es ganz leicht, auch ohne Dienerschaft ein Bad zu nehmen. Noch einfacher ist es, zu duschen. Phil zeigt dir, wie man das macht. – Offen gestanden riechst du ziemlich streng.“
Wortlos und sichtlich gekränkt folgte Dorian seinem vor sich hin prustenden Gastgeber ins Bad zurück.
Einige Minuten später stürmte Phil erneut in Valentinas Zimmer. Valentina empfing ihn stirnrunzelnd. „Schon mal was von Anklopfen gehört, kleiner Bruder?“
„Das Symbol!“, Phils Stimme überschlug sich fast. „Er hat ein Amulett mit der Mondlilie um den Hals! – Wir müssen es in dem dicken Hundefell gestern übersehen haben. Er trug es unter seinem Hemd. Es ist genau das
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