Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Endres
Vom Netzwerk:
Luisa von Treuenstein eine Geschichte ein, die ihre Zuhörer das Grauen lehren sollte.
    Zunächst berichtete sie von ihrer Tochter. In Worten, aus denen ihre große Liebe sprach, lobte sie Amalias erlesene Schönheit und ihre außergewöhnliche Musikalität, vor allem ihr Spiel am Cembalo, das die junge Komtesse zum bewunderten Mittelpunkt bei Gesellschaften machte. Erst dann kam die alte Gräfin zu den Geschehnissen, die ihr so schwer auf dem Herzen lasteten. Sie begannen damit, dass Amalia bei einer Soirée einem jungen russischen Grafen begegnete.
    „Er war ein junger Herr, mit hellem Haar und Augen, die stummes Leid bezeugten, von tadellosem Benehmen, doch ohne Eitelkeit, ganz tugendhaft und lauter.
    Amaliens Spiel erheiterte sein schweres Gemüt. Von Amors Pfeil getroffen, warb er um ihre Gunst, und Amaliens Herze flog ihm auf Engelsflügeln zu. Nie habe ich das Kind seliger gesehen. Indes missfielen ihrem Vater jene zarten Bande, war doch der Junker fremd, gar aus dem fernen Zarenlande, und niemand wusste, was ihn hergebracht hatte. Doch hieß er sich einen Grafen und war vermögend, Alexej Wolkonov war sein Name …“
    Dorian fuhr hoch. „Wol-ko-nov“, sagte er, als wolle er jede Silbe in sein Gedächtnis meißeln. „Das … das ist mein Name auch.“
    „Wow!“ Phil rieb sich eine Gänsehaut von den Armen. „Jetzt wird's spannend! Lies weiter!“
    „Allein, die Liebenden folgten nicht des Vaters Wunsche. Alsbald schon keimte, wie die Natur es will, der Liebe Frucht. Ehe Schimpf und Schande das Haus trafen, gab Unser Gemahl, Amaliens lieber Vater, dem fremden Grafen die Hand der Tochter und nahm ihn gar auf in Unser Haus. Ein Knabe ward alsbald geboren, ein schönes Kind mit goldenem Haar und lichten blauen Augen. Ein braver Knabe, mit großer Liebe zur Musik begabt. Das war der Mutter Erbe, die ihn darin lehrte seit seinem dritten Jahre. Er war die Wonne meiner Tage.“
    Wieder stockte Dorian. Mit feucht glänzenden Augen lehnte er sich zurück. „Es tauchen Bilder auf, so süß und schmerzlich. Ein schönes Haus, das ich in zartem Knabenalter wohl bewohnte.“
    „Das Treuenstein-Palais?“ Valentina reichte ihm ein Papiertaschentuch, das sie aus der Hosentasche gekramt hatte.
    Nach einem skeptischen Blick darauf trocknete sich Dorian damit die Augen. „Ich seh die Treppe noch vor mir, zwei Löwen … Ich saß als Kind oftmals darauf.“
    „Die Steinlöwen vor dem Eingang“, sagte Phil erregt. „Es ist tatsächlich das Treuenstein-Palais. – Du erinnerst dich an mehr und mehr.“
    Dorian nickte. „Fürwahr, doch schwillt in meinem Herzen Furcht …“
    In dunkler Vorahnung, die man seiner tief gefurchten Stirn ansah, las er weiter.
    „Das Schicksal wütet wie ein Sturm, der durch die Lande zieht und ohne Halten Gut und Böse mit sich reißt. Das junge Glück währte nicht lange. Schreckliches geschah.
    Zu Anbeginn ging die Sage um, man habe einen Wolf gesehen, ein Tier, groß wie ein junges Kalb, das Schafe riss und Federvieh. Doch kam die Bestie alleweil ungeschoren weg. Bald hieß es, es müsse ein Werwolf sein, die Leute reden allerlei.
    Doch als in einer Vollmondnacht auch in den Marstall ein Wolf drang und ein Fohlen bis zum Tod biss, kamen Angst und Schrecken an den Hof. Deshalben ward ein jedermann in Stall und Haus zu höchster Wachsamkeit ermahnt.
    So begab es sich in einer Vollmondnacht, dass eine Kammerjungfer durch ein Geräusch erwachte. Mit einem Feuerspan und nur im Hemde, und doch so couragiert wie ein Husar, schlich sich die Zofe durch die diskreten Gänge, die dem Gesinde vorbehalten sind, um zu spähen. Alsbald erklang ein wilder Schrei.
    Mein armes Töchterlein, welches den Schreckensruf im Schlafgemache des Gemahles wähnte, eilte flugs herbei. Doch ruhte jener nicht in seinem Bette. Die Zofe zeterte sogleich Mordio, dass alles zusammenlief. Mit einem Gebete auf den bleichen Lippen wies sie auf das Fenster und schwor bei allen Heiligen, ein Wolf sei da hinausgesprungen.
    In selbigem unseligen Augenblick ward Unser aller Glück zerschlagen.
    Noch in der Nacht zogen die kühnsten Männer aus, den Wolf zu schlagen, der, wie man gleich darauf befand, im Stalle wie toll gewütet hatte.
    Indes, erst als der Morgen graute, fand die Jagd ein Ende. In einem grauenvollen Zuge zerrten sie den eigenen jungen Herrn herbei, der matt und im Gemüte ganz verwirrt auf dem Heimweg war.
    Der Unglückliche ward in den Turm geworfen und in dem peinlichen Verhöre brach man ihm schier

Weitere Kostenlose Bücher