Der letzte Werwolf
des blonden Jungen zwang ihn wieder auf den Boden.
Valentina glaubte zu träumen. Herr Bozzi gehorchte aufs Wort.
„Bonjour, verehrte Mademoiselle.“ Dorian verneigte sich. „Wie befinden Sie sich an diesem schönen Morgen?“
„Ganz okay.“ Valentina lächelte gequält. „Hast du gut geschlafen?“
Dorian nickte. „Untertänigsten Dank für die Nachfrage, selig wie in Morpheus Armen.“
Valentina ging in die Küche, wo Phil mit dem Frühstücksgeschirr klapperte. Sie begrüßte ihn mit einem Gähnen. „Ich hab total mies geschlafen. Mann, den Albtraum, den ich hatte, wünsche ich meinem schlimmsten Feind nicht. Die Sache mit Dorian macht mir ganz schön zu schaffen.“
Phil nickte. „Wem sagst du das?“
„Wir müssen unbedingt mehr über ihn herausfinden. Deine Idee mit dem Buch find ich gut. Heute ist im Archiv kein Publikumsverkehr, und Arnold ist bestimmt wieder da.“ Valentina ließ sich in einen Küchenstuhl sinken. „Hör mal, was ich ausgetüftelt hab …“
Phil hob anerkennend den Daumen, als sie ihre Idee mit ihm geteilt hatte. „Französischer Austauschschüler. Das ist genial! Vielleicht kauft uns das sogar Isolde ab, wenn sie heut Abend heimkommt.“
Valentina blickte grübelnd aus dem Fenster. „Wir könnten ihr sagen, die Bergers hätten ihn bei uns einquartiert, weil …“
„Weil sie wegmussten“, ergänzte Phil.
„Und wohin, kleiner Bruder?“
Phil zuckte mit den Schultern.
Valentina schob die Unterlippe vor. „Es müsste was Dramatisches sein.“
„Weil wer gestorben ist.“
„Genau!“, sagte Valentina. „Weil sie einen Todesfall in der Familie haben. – Laura hat doch Verwandte in den USA.“
„Super!“ Phil warf seiner Schwester einen bewundernden Blick zu.
Während des Frühstücks, bei dem Herr Bozzi, ohne auch nur den kleinsten Bettelversuch zu unternehmen, andachtsvoll zu Dorians Füßen lag, weihte Valentina Dorian in den Plan ein.
„Wohlan, verehrte Mademoiselle, Ihr ergebener Diener wird Ihrem Rate sich gewiss nicht widersetzen“, sagte Dorian so gestelzt, dass sich Valentina fragte, ob Isolde ihnen die Frankreichgeschichte abkaufen würde.
Die Spitzenmanschetten an seinen Ärmeln schwebten gefährlich nah über dem Honigglas, als Dorian nach der Butter griff. Phil beobachtete ihn mit unverhohlener Skepsis. „Es ist ein ganzes Stück bis zum Archiv“, sagte er unumwunden. „In diesen seltsamen Klamotten kann er unmöglich auf die Straße!“
Der blonde Junge setzte sich gerade und strafte Phil mit einem pikierten Blick. „Nun, mit Verlaub mein lieber Freund, mir scheint auch Ihre Kleidung wunderlich.“
Phil grinste verlegen. „Kann ich verstehe. Trotzdem, nach dem Frühstück wollen wir mal sehen, ob dir die Hosen meines Vaters passen.“
„Ta-ta-ta-ta!“ Eine unsichtbare Fanfare schmetternd kam Phil eine halbe Stunde später die Treppe hinunter. Hinter ihm Dorian. Valentina starrte den blonden Jungen in Jeans und T-Shirt überrascht an. Abgesehen davon, dass er etwas blass war und die Haare nach wie vor zu einem Zopf trug, hatte er nichts Auffälliges an sich, außer, dass er gut aussah – verdammt gut! Jedenfalls konnte jetzt keiner mehr darauf kommen, dass etwas mit ihm nicht stimmte – dass er ein … dass er ein Geist war. Valentina schluckte. Aber war er das überhaupt? Wer war Dorian? – Hoffentlich würden sie heute mehr über ihn erfahren.
Sie räusperte sich. „Sieht gut aus!“
Phil nickte zufrieden. „Ja, die Sachen passen fast wie angegossen! Sogar die Sneakers! Nur für die Hose braucht er einen Gürtel.“
„Ein Beinkleid gänzlich ohne Haken und Ösen“, bemerkte Dorian kopfschüttelnd.
„Der Reißverschluss hat ihn schwer beeindruckt“, flüsterte Phil seiner Schwester zu, während Dorian sich zu Herrn Bozzi herabbeugte, der ihn schwanzwedelnd begrüßte.
Valentina wandte sich zur Tür. „Dann können wir ja gehen!“ Freudig sprang der Hund hinter ihr her. „Du musst hierbleiben!“, sagte sie bedauernd. „Ins Archiv können wir dich unmöglich mitnehmen!“ Herr Bozzi ließ den Schwanz hängen und begann jammervoll zu winseln.
„Reste-là!“ {2} Der einmal ruhig, aber bestimmt ausgesprochene Befehl Dorians genügte. Herr Bozzi trollte sich in seinen Korb, von dem aus er beleidigt, aber klaglos zusah, wie die drei das Haus verließen.
„Unglaublich!“, sagte Phil. „Vielleicht sollten wir auch französisch mit ihm sprechen.“
Der Tag war warm und sonnig, zarte Wölkchen kräuselten
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