Der letzte Werwolf
bitte alle in den Salon von Gräfin Margareta!“
Phil und Dorian blieben etwas zurück, um auf Valentina zu warten. Als Letzte betraten die drei einen nahezu quadratischen Raum mit blumendurchwirkten Seidentapeten, in dem, wieder von einer Absperrung geschützt, ein Cembalo stand, um das sich die Leute schon in dichten Reihen drängten.
Dorians helle Augen verschleierten sich. „Das Instrument der lieben Frau Mama!“, sagte er leise.
„Dieses Cembalo“, begann die Führerin, „gehörte Amalia von Treuenstein, der einzigen Tochter Margaretas. Leider kam sie schon in jungen Jahren unter geheimnisumwitterten Umständen ums Leben, die bis heute nicht geklärt sind. Vielleicht haben Sie im hinteren Teil des Parks ihr Mausoleum gesehen. – Apropos Park – falls sie nicht schon die Plakate gelesen haben. Am 23. Juni findet, wie alle Jahre, das historische Sonnwendfest im Treuenstein-Park statt. Kommen Sie, wenn Sie es einrichten können. Ich verspreche Ihnen ein unvergessliches und höchst romantisches Erlebnis! – Der Sternenhimmel, das Feuer – und diesmal werden wir sogar Vollmond haben.“
Phil traute seinen Ohren nicht. Eine romantische Ader hatte er der kleinen ausgetrockneten Snicki gar nicht zugetraut. Und doch hatte ihr Ton plötzlich etwas Schwärmerisches angenommen. Vielleicht war sie ja doch nicht mit einem grauen Dutt auf die Welt gekommen?
„Um auf das Cembalo zurückzukommen“, fuhr die Museumsleiterin mit ihrem Vortrag fort, „es stammt vermutlich aus der Werkstatt von Christian Zell, einem namhaften Instrumentenbauer des Hochbarock, es verfügt über drei Register und es …“
Alles, was die Führerin weiter über das Cembalo zu sagen hatte, bekam keiner der Freunde mehr mit. Dorian hatte sich umgedreht. Er stand da wie angewurzelt und starrte auf ein Gemälde. Valentina und Phil, die seinem Blick gefolgt waren, wussten sofort, wer die junge Frau mit der weiß gepuderten Perücke war, die Dorian mit dem Ausdruck größter Rührung betrachtete.
Die hellen Vergissmeinnichtaugen, die gerade, schmale Nase, der sinnliche Mund. Valentina sah Dorian von der Seite her an. Die Ähnlichkeiten mit seiner Mutter waren atemberaubend. Sie war das weibliche Pendent zu dem hübschen Jungen, der fast etwas Mädchenhaftes hatte, ohne dabei unmännlich zu wirken.
Amalia saß in einem prächtigen Kleid aus silberglänzendem Brokat am Cembalo, die schlanken Hände auf der Klaviatur, den Blick zum Betrachter gewandt. Ihre kleinen Füße steckten in zierlichen Seidenschühchen, die mit einem rosa Satinband gebunden waren. Wie beiläufig lugte etwas aus dem Saitenkasten ihres Instruments. Valentina kniff die Augen zusammen. War das nicht …?
„Wenn Sie sich umwenden, sehen Sie ein Porträt der Komtesse Amalia, die eine virtuose Musikerin gewesen sein muss.“ Snickis Posaunenstimme widmete sich nun dem Gemälde. Ein halbes Hundert Köpfe drehte sich um. „Dem Andenken ihrer Tochter zu Ehren stiftete Margareta von Treuenstein das berühmte Musik-Gymnasium, das bis heute den größten Teil des Palais beansprucht. Das Ölbild ist übrigens ein Frühwerk von Anton Mengs, der später als Hofmaler von König August dem Dritten bekannt wurde.“
Wieder ertönten Ahs und Ohs, wieder wurden Fotokameras gezückt. Die Gefährten wichen der neugierigen Menge.
„Mir nach bitte!“ Damit marschierten Snickis klobige Pumps bereits ins nächste Zimmer.
Noch während die Leute wieder hinter ihr hertrotteten, verharrte Dorian schon wieder reglos vor dem Bildnis. Seine Augenwinkel glänzten. „Sie war ein Engel, rein und voller Herzensgüte“, sagte er bewegt.
Phil fuhr sich befangen durchs Haar. „Sie war wirklich wunderschön.“
Valentina ging näher an das Bild heran, um sich genauer anzusehen, was eben schon ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Sie deutete auf ein weißes spitzenumrandetes Stückchen Stoff, dessen größerer Teil im Resonanzkasten des Cembalos steckte. „Seht mal! – Sieht es nicht aus wie …“
Dorian nickte verwundert.
„Zeig mir doch bitte mal das Tuch!“ Valentina streckte den Arm nach hinten und versuchte, klopfenden Herzens zu erkennen, ob man die silberfarbenen Pinselstriche im Faltenwurf des Stoffzipfels als das interpretieren konnte, wofür sie es hielt.
Dorian zog das Seidentuch aus der Hosentasche und reichte es ihr. Valentina griff danach – und verfehlte es. – So jedenfalls erklärte sie sich in der ersten Schrecksekunde, wie es geschehen konnte, dass das Tuch
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