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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Endres
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erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei.
    Der Mann hielt das Handy ein Stück vom Ohr weg. „Keine Sorge, Frau Doktor, alles paletti! – Die Polsterstühle, die gestern vom Restaurator zurückgekommen sind, haben sich selbstständig gemacht. Ich hab denen noch gesagt, dass sie nicht gestapelt werden sollen. – Leider ja. – Einer hat was abgekriegt, den können die gleich wieder abholen.“ Die Posaune erwiderte etwas, das die heimlichen Zuhörer nicht in allen Einzelheiten verstanden, dem Hausmeister aber ein Stöhnen entlockte. „Nein, ich hab's versucht, es scheint einen Kurzen gegeben zu haben. Aber ich sag ja schon seit einem Jahr, dass die Alarmanlage erneuert werden muss. – Was?“ Er schnaubte. „Der Stüttgen ist im Versorgungsraum? Der hat doch keine Ahnung! Warten Sie, ich bin gleich da!“
    Rot vor Zorn rannte er aus dem Zimmer.
    „Wow, das war knapp!“ Phil kroch auf allen vieren aus seinem Versteck. „Allmählich glaub ich selbst an diese Glückskindsache. Er hat vor lauter Wut vergessen, die Tür wieder abzusperren.“ Er grinste in sich hinein. Stüttgen war der Hausmeister des Gymnasiums, einer von denen, die immer alles besser wussten. Es war bekannt, dass die beiden Hausmeister in ständigem Clinch lagen. Jedenfalls schien die Alarmanlage noch immer nicht zu funktionieren. Das war gut. Sehr gut sogar!
    Dorian streckte vorsichtig den Kopf aus dem Zimmer.
    Mit einer auffordernden Handbewegung wies er Phil an, ihm zu folgen. Wieder standen sie im Jagdzimmer, in dem der Museumsrundgang begonnen hatte.
    „Kein Mensch hier!“, flüsterte Phil. „Sie scheinen das Museum für heute geschlossen zu haben.“
    Seine Vermutung erwies sich als richtig, denn auch in den folgenden Räumen begegnete ihnen niemand. Obwohl sie auf Zehenspitzen gingen, knarzte das betagte Parkett wie eine alte Fregatte. Dennoch erreichten sie unbehelligt das Zimmer der Gräfin. Das kunstvoll gearbeitete Cembalo stand an seinem Platz, ein wertvolles Museumsstück aus einer längst vergangenen Epoche. Nichts deutete darauf hin, dass es ein Geheimnis bewahren könnte. Nachdem Dorian die Abgrenzung überstiegen hatte und Phil darunter hindurchgekrochen war, tasteten ihre Blicke nach einem Hinweis. Gab es irgendwo ein Fach, eine Lücke, in die ein Dolch passte? Dorian umrundete das Instrument. „Wo genau, mein lieber Freund, fanden Sie das Tüchlein wieder?“, sagte er schließlich.
    Phil überlegte und deutete vage in den Saitenkasten. Im Schreck hatte er einfach nach dem Tuch gegriffen und es eingesteckt. Zwei Köpfe beugten sich unter den hochgestellten Deckel. Behutsam strich Dorian über die Innenseiten des Gehäuses, als plötzlich etwas aufblitzte. Phil fuhr herum. Durch das Fenster neben der Tür, dessen Läden halb verschlossen waren, um die wertvollen Stücke vor der Zerstörungskraft des Lichts zu schützen, drang ein einziger gleißender Sonnenstrahl. Wie ein brennender Finger zeigte er auf eine Stelle im Holz, in die ein unscheinbarer perlmuttfarbener Knopf eingelassen war. Instinktiv presste Dorian den Zeigefinger dagegen, worauf sich mit einem kleinen Schnarren eine Klappe auftat.
    Gebannt sah Phil zu, wie Dorians schmale Hand in die Öffnung griff. „Ich glaub's nicht, d-der Do-Dolch“, stammelte er. „Der Liliendolch!“
    Stumm blickte der blonde Junge auf den silbernen Gegenstand in seiner Hand. Dann zog er die Klinge aus der Scheide. Sie blitzte in dem geheimnisvollen Lichtstrahl auf und warf ein leuchtendes Ornament an die Wand.
    „Das Zeichen!“, sagte Phil tonlos.
    „Das Zeichen, unter dessen Schutz wir stehen. Des Lichtes Zeichen, das uns zum Siege führen wird.“ Ehrfurchtsvoll steckte Dorian den Dolch zurück und schloss mit einer behutsamen Bewegung die geheime Klappe. Der Sonnenstrahl erlosch.
    Ehe sie den Raum verließen, blieb Dorian vor dem Bildnis seiner Mutter stehen. Den Dolch in einer anrührenden Geste aufs Herz gepresst, verneigte er sich, während sich seine Lippen lautlos bewegten. Phil glaubte dennoch zu verstehen. Er schwor seiner Mutter, sie zu rächen. Und er würde alles daransetzen, diesen Schwur zu halten. Für einen Moment war Phil, als lächle die junge Frau auf dem Gemälde ihrem Sohn zu. Dann stutzte er. Wo war das Spitzentuch? Das Tuch, ohne das sie den Dolch niemals gefunden hätten. Phil überwallte eine Gänsehaut. Es war aus dem Bild verschwunden.
    „Ihr Glück ist uns hold, lieber Freund“, bemerkte Dorian, als sie durch die Ausstellungsräume

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