Der letzte Weynfeldt (German Edition)
Unterkleid, lag um sie herum drapiert auf dem Teppich. In einigem Abstand zu ihr, achtlos hingeworfen, gelb und mauve ihr Kleid und Unterrock. Sie hielt den Kopf in andächtiger oder demütiger Haltung leicht geneigt. Ihr rotbraunes Haar war hochgesteckt. Ihre Taille sehr schmal, ihr Becken breit, Gesäß und Oberschenkel massig. Über dem Kamin hing ein Spiegel, in dem man einen kleinen Streifen des Zimmers sah. Von rechts ragte ein Stück eines roten Fauteuils ins Bild, links vom Kamin stand die Tür eines in die Tapete eingelassenen Schranks halboffen.
Klaus Baier war mit diesem Bild aufgewachsen. Es hing bis zum Tod seines Vaters in dessen Arbeitszimmer, in welchem es immer so roch wie jetzt in diesem Wohnraum: ungelüftet und nach frischem Zigarrenrauch.
Als kleiner Junge hatte er sich über die Frau vor dem Salamander keine Gedanken gemacht. Sie hatte ihre Kleider ausgezogen, weil es durch das Feuer so warm war im Zimmer. Aber später begann ihn die Frage zu beschäftigen, wie die Frau wohl aussah, die da so unverwandt ins Feuer starrte. Wenn sein Vater nicht zu Hause war, stahl er sich manchmal ins Arbeitszimmer, setzte sich vor das Bild und wünschte sich, die Frau möge über die Schulter blicken. Nur flüchtig und nur ein einziges Mal. Später, als er wusste, dass Frauen auf Gemälden nie den Kopf wenden, schlich er sich immer noch ins Zimmer und malte sich aus, wie die Frau wohl von vorne aussah. Er beneidete den Maler, der sie bestimmt so gesehen hatte. In der Pubertät kam die Frau vor dem Salamander in fast allen seinen erotischen Phantasien vor. Und alle drei Ehefrauen – die letzte hatte sich vor bald sechs Jahren von ihm scheiden lassen – waren oben zart und unten schwer gebaut.
Es war mehr die Frau als das Bild, die Klaus Baier sein ganzes Leben begleitet hatte. Und es war auch vor allem sie, von der er sich jetzt als alter Mann so schwer trennen konnte.
Bei der kleinen Genferseelandschaft von Ferdinand Hodler war es noch einfach gewesen. Das Bild hatte ihm nicht viel bedeutet abgesehen von den sechshunderttausend Franken Schätzpreis und der »guten Million Hammerpreis«, die er sich nach Weynfeldts Schätzung damals erhoffen konnte. Trennungsschmerz verursachte nur der Umstand, dass er das Werk nicht in eine Versteigerung geben konnte. Aus geschäftlichen und familiären Gründen – er wollte nicht den Eindruck erwecken, er habe Liquiditätsprobleme, und seine beiden Kinder aus erster und zweiter Ehe sollten besser nichts vom Verkauf erfahren. Er war auf einen diskreten Privatverkauf angewiesen gewesen und gezwungen, den Preis von fünfhundertzweiundvierzigtausend Dollar zu akzeptieren, den ihm ein Sammler aus Detroit bot. Das Wasser stand ihm damals bis zum Hals.
Auch die Reproduktion des Gemäldes – einen für den oberflächlichen Betrachter täuschend echten Faksimiledruck auf Leinwand im Originalrahmen – hatte er nicht aus Sentimentalität machen lassen, sondern nur, um bei den seltenen Besuchen seiner Erben keine Fragen aufkommen zu lassen.
Ähnlich war er bei anderen Krisen mit dem Segantini, den Hodler-Aquarellen, den beiden Augusto Giacomettis und den anderen Reststücken aus der Sammlung seines Vaters verfahren. Alle waren diskrete Notverkäufe unter ihrem möglichen Auktionspreis gewesen. Und von allen hingen für die Erben erstklassige Reproduktionen an den gewohnten Stellen im Haus.
Aber seinen Vallotton konnte er nicht so billig hergeben. Weynfeldt hatte ihn beim letzten Mal auf eins Komma zwei bis eins Komma vier Millionen Franken geschätzt. Wenn das Werk bei einer Auktion sein volles Potential ausschöpfte, könne es das Doppelte oder Dreifache erzielen. Ein Privatverkauf kam diesmal nicht in Frage. Er würde das Bild hochoffiziell versteigern lassen, Erben hin oder her. Er brauchte das Geld so nötig wie noch nie.
Klaus Baier hatte sich wieder einmal verspekuliert. Aber während er früher die diskreten Bilderverkäufe dazu benutzte, sich von einer finanziellen Unpässlichkeit zu erholen, um eine momentane Insolvenz zu überbrücken oder um die Mittel für eine besonders vielversprechende Spekulation zu beschaffen, so brauchte er diesmal das Geld, um zu überleben.
Seine finanzielle Lage war düster. Das Haus, in dem er wohnte, gehörte längst der Bank. Wenn er den Privatkonkurs vermeiden und alle seine Gläubiger befriedigen wollte, würden ihm noch zwischen hundert-und zweihunderttausend Franken bleiben. Früher hätte ihm das vielleicht gereicht, um wieder auf
Weitere Kostenlose Bücher