Der letzte Weynfeldt (German Edition)
»Jajajajaja«, als wäre wieder einmal etwas eingetroffen, was sie schon lange erwartet hatte. Weynfeldt hörte das alles nur, er wusste nie, was den Unmut von Frau Hauser hervorrief, denn er vermied es, sich im selben Raum mit ihr aufzuhalten. Aber er ging davon aus, dass es jedes Mal mit seiner Unordentlichkeit zu tun hatte. Es verging kein Tag, an dem sie ihm gegenüber nicht seine Mutter erwähnte. Was diese immer gesagt hatte, zu tun pflegte oder zum Glück nicht mehr erleben musste.
Mit Véronique war leichter auszukommen. Nicht nur, weil sie nie seine Mutter erwähnte, obwohl sie sie noch persönlich gekannt hatte, sie gab Adrian auch nie zu verstehen, dass sie seine Unordentlichkeit und seine Hilflosigkeit praktischen Dingen gegenüber störte. Sie waren es dem Respekt, den sie einander entgegenbrachten, schuldig, dass jeder des anderen Unzulänglichkeiten ignorierte.
Weynfeldt saß auf dem Bürostuhl aus seiner privaten Sammlung, einem bequemen ledergepolsterten Sessel mit verchromtem, federndem Stahlrohrgestell, den Robert Haussmann 1957 entworfen hatte. Er blätterte im Segantini-Katalog, ohne sich zu erinnern, wonach er suchte. Bei »Sul balcone« hielt er inne. Das Bild zeigte ein junges Mädchen in indigoblauer Bluse und langem Rock. Es lehnte, die rechte Hand in die Hüfte gestützt, an der hölzernen Brüstung eines Balkons, den Rücken dem windschiefen Bergdorf und seinem Kirchturm und dem milchigen, durchlässigen Himmel zugewandt. Sie trug eine weiße Haube, hatte den Kopf geneigt, nachdenklich, nichts Bestimmtes im Auge. Sie stand da wie Lorena, fuhr es ihm durch den Kopf, nur dass sie sich noch innerhalb der Balkonbrüstung befand.
Seit jener seltsamen Begegnung genügte auch schon eine viel vagere Assoziation, um Weynfeldt an Lorena zu erinnern. Ein Frauenporträt ohne die geringste Ähnlichkeit, manchmal auch nur ein Gegenstand, etwas Japanisches wegen ihrer Bluse oder ein Möbelstück von Werner Max Moser, weil sie zum Schluss auf einem seiner Sessel auf ihn gewartet hatte. Manchmal noch weniger: Ähnliches Wetter wie an jenem Sonntagmorgen, Croissants, einer seiner weißen Sonntagspyjamas. Und immer öfter bedurfte es überhaupt keines Anlasses, um das Bild von Lorena entstehen zu lassen. Das von Lorena oder das von Daphne.
Der dramatische Sonntagmorgen lag nun schon über zwei Wochen zurück. Er hätte Lorena um ihre Telefonnummer bitten sollen. Oder wenigstens um ihre Adresse.
Er hatte inzwischen schon vier Mal außerhalb seines Turnus im La Rivière hereingeschaut und war jedes Mal für zwei Martini geblieben, die er nach dem immer gleichen Ritual konsumierte. Er ließ das Glas während einer knappen Stunde unbeachtet neben seinem Ellbogen stehen, fischte dann den Zahnstocher mit der Olive heraus, aß diese langsam und legte den Kern auf das kleine Untertellerchen, das ihm der Barkeeper jedes Mal zum Drink servierte. Das war für diesen jeweils das Zeichen, dass er das volle Glas abräumen und durch ein frisches ersetzen durfte. Nur ein einziges Mal hatte der Barman versucht, ihm einen Martini mit zwei Oliven zu servieren. Weynfeldt hatte eine davon kommentarlos auf das Tellerchen gelegt.
Er hatte sich nicht dazu aufraffen können, den Barkeeper nach Lorena zu fragen. Aber der wusste bestimmt, weshalb Weynfeldt plötzlich so oft hier war. Wenn er etwas Näheres wüsste, hätte er es ihm bestimmt gesagt.
Das Telefon klingelte, und Weynfeldt zwang sich, es zwei, drei Mal klingeln zu lassen. Falls es Lorena war, sollte sie nicht glauben, er habe neben dem Apparat auf ihren Anruf gewartet.
Aber es war nicht Lorena. Es war Klaus Baier, auch eines dieser um fast eine Generation älteren Kinder von Altersgenossen seiner Eltern. Baiers Vater war Textilunternehmer gewesen und hatte mit der Handelsfirma Weynfeldt & Cie. zusammengearbeitet. Die Freundschaft der beiden Väter hatte die Übernahme der beiden Firmen durch lebenstüchtigere Konkurrenzunternehmen überdauert. Sie waren beide leidenschaftliche Jäger, luden sich gegenseitig auf ihre Pachten ein und reisten in den fünfziger Jahren mehrmals zusammen nach Ostafrika auf Safari.
Die beiden Söhne hatten wenig Kontakt. Zuerst trennte sie der Altersunterschied und später ihre Interessen. Während Adrian sich auf seine Leidenschaft, die Kunst, konzentrierte, ging es Klaus ums Geld. Nach dem frühen Tod seines Vaters im Jahr 1962 begann er, sein Erbe auf riskante Art zu vermehren. Er entwickelte sich zum wagemutigen instinktsicheren
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