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Der letzte Weynfeldt (German Edition)

Der letzte Weynfeldt (German Edition)

Titel: Der letzte Weynfeldt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Konservenfabrik und verdiente sich ein Zubrot mit Botendiensten, Hauswartaufgaben und Arbeiten in dem für das große Gebäude viel zu klein geratenen Garten. Die Villa stand dichtgedrängt mit zum Verwechseln ähnlichen anderen Villen in ebenfalls zu kleinen Gärten und bot einen von zu hochgeschossenen, aber unter Naturschutz stehenden Föhren und Tannen behinderten Blick auf die Stadt und den See.
    Frau Almeida nahm ihm den Burberry und den geschenkverpackten Port ab. Weynfeldt folgte ihr zur Garderobe und prüfte, während sie den Mantel aufhängte, gewohnheitsmäßig seine Erscheinung im Spiegel.
    Er besaß ein zwar nicht sehr scharfkantiges, dafür für sein Alter noch recht glattes Gesicht, eine gerade, sehr ebenmäßige Nase mit breitem Nasenrücken, »einen Weynfeldtzinken«, wie seine Mutter sie genannt hatte, graublaue Augen, volle Lippen, ein weder energisches noch fliehendes Kinn mit einem schwer zu rasierenden Grübchen und kräftiges, brünettes, von grauen Fäden durchzogenes Haar. Dieses ließ er sich jeden Dienstag an Ohren und Nacken ausrasieren und jede zweite Woche nachschneiden. Er trug es links vom Scheitel kurz und rechts davon lang und zur Seite gekämmt. Von Mittag an, wenn die Haare die Elastizität der allmorgendlichen Wäsche zu verlieren begannen und ihm der lange Teil seines Haarschnitts immer öfter in die Stirn fiel, strich er sie mit einer langsamen unbewussten Bewegung an ihren Platz zurück wie etwas Kostbares.
    Diese Frisur verlieh Adrian Weynfeldt etwas Vierzigerjahrehaftes, dessen er sich sehr wohl bewusst war und das er mit dem Schnitt seiner Anzüge gerne noch ein wenig unterstrich.
    Er zupfte Krawatte und Einstecktuch zurecht, strich sich die Haare aus der Stirn und ließ sich von Frau Almeida in den Salon führen.
    Klaus Baier saß mitten im schwach beleuchteten, vom Zigarrendunst weichgezeichneten Salon in seinem hohen, steifen Armsessel und winkte Weynfeldt zu sich heran. Adrian ging zu ihm und schüttelte die harte, knochige Hand, die so gar nicht zu dem runden Körper und aufgedunsenen Gesicht des alten Mannes passte. Er hatte Baier bestimmt ein Jahr nicht mehr gesehen, und zum ersten Mal kam ihm dieser vor wie ein alter Mann.
    »Entschuldige, dass ich sitzen bleibe«, sagte er und wies auf einen Sessel neben sich. »Setz dich.«
    Adrian ließ sich auf der Kante des weichen Polsters eines goldgelben Plüschsessels aus den sechziger Jahren nieder und hielt sich mit geradem Rücken an den Armlehnen fest, damit der Höhenunterschied zu Baier nicht noch größer wurde.
    »Port oder was Richtiges?«, fragte Baier.
    »Port ist prima.«
    »Schade, ich hatte gehofft, du lieferst mir einen Vorwand für etwas Anständiges.«
    »Ich habe einen anständigen Port mitgebracht.«
    »Danke. Aber ich habe einen hochanständigen Bas-Armagnac hors d’age. Du hast etwas zu feiern. Und ich brauche ein wenig Trost.«
    Frau Almeida, die unter der Tür gewartet hatte, bis die Getränkebestellung klar war, ging jetzt zum Büchergestell und klappte die Tür der kleinen Hausbar herunter. Ein Licht ging an und beleuchtete ihr verspiegeltes Inneres voller Flaschen und Gläser. Die beiden Männer warteten, bis die Haushälterin eingeschenkt hatte.
    Weynfeldt wollte anstoßen, aber Baier hatte das Glas schon an den Lippen und nahm einen großen Schluck. Er behielt ihn eine Weile im Mund, dann zeigte er auf das Bild über der Kommode. »Dort ist er. Warum holst du ihn nicht und stellst ihn auf die Staffelei?«
    Adrian gehorchte. Nahm das Bild von den beiden Haken, hielt es mit ausgestreckten Armen vor sich hin, bis es ihm zu schwer wurde – es maß immerhin hundert auf achtzig Zentimeter und trug einen schweren vergoldeten und verschnörkelten Rahmen –, und stellte es auf die Staffelei. Er ging einen Schritt zur Seite, damit er Baier nicht in der Sicht stand, und betrachtete das Werk.
    »Und?«, fragte Baier nach einer Weile.
    »Du kennst meine Meinung zu diesem Bild. Es ist wunderbar.«
    »In Franken, bitte.«
    »Zwischen siebenhunderttausend und einer Million.«
    »Das hast du schon letztes Mal gesagt. Und inzwischen ging ›En promenade‹ für zwei Komma drei Millionen weg. Ein kleines Bildchen, nicht halb so groß wie dieses.«
    »Auktionsdynamik. Zwei Sammler trieben sich gegenseitig in die Höhe.«
    »Das kann man steuern, hast du mir selbst einmal gesagt. Du kennst doch die Sammler von Vallotton. Lade ein paar von denen ein, und lass sie aufeinander los.«
    Baier hatte recht. Weynfeldt

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