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Der letzte Weynfeldt (German Edition)

Der letzte Weynfeldt (German Edition)

Titel: Der letzte Weynfeldt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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kannte ein paar Sammler, die telefonisch mitboten. Und er war der Mann mit dem Telefon. Er konnte schon einen gewissen Einfluss ausüben. Genauso gut, wie er dem Bieter am Telefon empfehlen konnte, nicht mehr höher zu gehen, konnte er auch das Gegenteil tun. Er überlegte. Ein Schätzpreis war eine heikle Sache. War er zu hoch, riskierte das Haus, auf dem Los sitzenzubleiben. War er zu niedrig, konnte es zu einer so hohen Diskrepanz zwischen Schätz-und Hammerpreis kommen, dass sie Weynfeldts Ruf als Experte schaden konnte.
    »Unter eine Million gehe ich nicht«, gab Baier bekannt. »Zwischen einer und anderthalb Millionen. Kannst du damit leben?«
    Weynfeldt zögerte. »Zwischen einer und eins Komma drei.«
    »Nimm es mit«, stieß Baier aus. »Jetzt, auf der Stelle.«
    Es wäre nicht das erste Mal, dass Weynfeldt ein Bild bei sich zu Hause zwischenlagerte. Ein Anruf in London bei der Versicherungsabteilung genügte. Dort war man flexibel, und Weynfeldts Wohnung galt durch die Nachbarschaft zur Bank als mindestens so gut gesichert wie das Lager von ›Murphy’s‹.
    »Einverstanden«, sagte er und ging zur Staffelei.
    »Oder nein, stopp. Lass es mir bis morgen. Noch eine Nacht zum Abschiednehmen.«
    Am nächsten Morgen ließ sich Weynfeldt in ›Murphy’s‹ Lieferwagen zu Baier fahren, verpackte das Bild sorgfältig in Polsterfolie und Wellkarton, signierte dessen Empfang und nahm es mit.
    Auf dem Weg ins Büro befahl ihm ein unbestimmtes Gefühl, das Bild statt zu ›Murphy’s‹ in seine Wohnung zu bringen. Er wunderte sich über sich, denn normalerweise folgte er seinen Gefühlen nicht.

5
     
    Ein gerafftes Band aus perlmuttfarbener Seide hielt das plissierte Top aus gleichem Material. Es war rechts durch einen dünnen Träger über dem Brustansatz gehalten, wand sich links zur Schulter hinauf und war dort zu einer Rosette drapiert. Es reichte bis knapp über den Bauchnabel, ließ ein Stück des Bauches frei und fiel dann asymmetrisch ab bis zur Mitte des linken Oberschenkels. Der türkisblaue Wickelrock aus dem gleichen Material wurde durch einen einzigen weißen Knopf über der Leiste zusammengehalten und war vor dem linken Oberschenkel plissiert. Beim Gehen öffnete und schloss er sich wie ein umgekehrter Fächer. Das Ensemble sah aus, als könnte man sich seiner in einer halben Sekunde entledigen.
    »Bei Ihnen alles okay?«, fragte die Stimme der Verkäuferin vor der Kabine.
    Lorena öffnete die Tür, trat hinaus und ging mit ein paar Katzenschritten – immer einen Fuß vor den anderen gesetzt – zur großen Spiegelwand. Sie wusste, wie man sich in Designerklamotten bewegte, sie hatte schließlich mal als Model gearbeitet. Nicht bei den großen Fashion Shows in Paris, Rom, London und New York, dafür war sie mit ihren ein Meter vierundsechzig zu klein, aber immer wieder bei Modeschauen von Boutiquen und eine Zeitlang festangestellt als Hausmodel bei einem Ostschweizer Label. Drei Saisons lang hatte sie auch Kataloge gemacht für ein Versandhaus. Sie erinnerte sich ungern an die Tage in überheizten oder unterkühlten Studios in irgendeiner Provinzstadt. Der Gebrauchsfotograf benahm sich wie ein Star, und ihre Kolleginnen kämpften um ein paar armselige Privilegien, indem sie mit ihm oder seinem Assistenten oder dem Werbeleiter des Versandhauses die durchgelegenen Betten und schäbigen Hotelzimmer teilten. Lorena hatte sich da herausgehalten, mit dem Resultat, dass sie nach drei Katalogen nicht mehr im Aufgebot auftauchte.
    Aber die drei Ausgaben hatten gereicht, um ihrer Modelkarriere nachhaltig zu schaden. Die Agenturen, die ihr Gesicht aus dem biederen Katalog kannten, gaben ihr keine Aufträge mehr. Da nützte es nichts, dass sie eine der professionellsten Set-Karten der Szene besaß. Ein hochdekorierter Art Director, mit dem sie – offen gestanden nicht zuletzt aus diesem Grund – eine Weile liiert gewesen war, hatte sie gestaltet.
    Ihr Karriereende als Model lag nun schon ein paar Jahre zurück, aber um sich in einem Issey Miyake so vor die Spiegelwand einer der exklusivsten Boutiquen der Stadt zu stellen, dass das Verkaufspersonal sie für eine vielversprechende Kundin hielt, dazu reichte es noch locker. Die Verkäuferin, die sie bediente, sagte: »Sie sind hier die Erste, die das tragen kann.« Und der kahlrasierte Verkäufer im Comme-des-Garçons-Look auf halber Höhe der Wendeltreppe zur Herrenabteilung lächelte ihr anerkennend zu.
    Lorena schlenderte zu einer der Kleiderstangen, die

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