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Der letzte Weynfeldt (German Edition)

Der letzte Weynfeldt (German Edition)

Titel: Der letzte Weynfeldt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Handtasche zu öffnen?«

6
     
    Es war ein Donnerstag gegen Monatsende am späten Vormittag, nicht gerade die Hauptbetriebszeit in der Herrenabteilung einer Boutique wie dem Spotlight. Pedroni langweilte sich ein wenig und war ganz froh um die Show, die die rothaarige Kundin dort unten bot. Er stand auf der Wendeltreppe und schaute zu, wie sie immer wieder aus der Kabine trat wie ein großer Musicalstar auf die Bühne von Caesars Palace. Die Kleine war gut. So, wie er sie einschätzte, hatte sie weder eine Kreditkarte noch genug Geld in der Tasche, um sich ein Taschentuch im Spotlight zu kaufen, aber die dämliche Manon, die sie bediente, war überzeugt, dass sie den ganz großen Fisch an der Angel hatte.
    Theo L. Pedroni war kein Anfänger in der Branche. Er war bald neununddreißig, sein letzter Geburtstag mit links einer Drei, und hatte über die Hälfte dieser Jahre in der Mode verbracht. Zuerst als Verkäuferlehrling in einem großen Warenhaus und dann in verschiedenen Boutiquen, von denen zwei ihm gehört hatten. Nicht gleichzeitig und nur für kurze Zeit, aber immerhin gehört. Beide Male hatte er Konkurs gemacht, einmal davon nach Meinung der Justiz einen betrügerischen, was ihm den Wiedereinstieg ins Angestelltenverhältnis erschwert und ihn zu einem Ortswechsel gezwungen hatte.
    Pedroni hatte seine Tätigkeit als Verkäufer immer als etwas Vorübergehendes betrachtet und daneben an großen Projekten gearbeitet, die ihn finanziell ein für alle Mal sanieren sollten. Die meisten dieser Diversifikationsversuche hatte er auf seinem angestammten Gebiet – Fashion – angestellt. Mehrere Male war er ins Accessoire-Business eingestiegen und hatte in vorerst kleineren Auflagen Gürtel, Uhrenarmbänder, Feuerzeugetuis und – mit besonders viel Engagement – Handyetuis hergestellt. Er hatte sich um Produktion, Verkauf und Marketing gekümmert. Für den kreativen Teil hatte er mit Studenten der Kunstgewerbeschule zusammengearbeitet oder mit einem jungen Werbetexter. Die Zusammenarbeit mit diesem scheiterte 1989 an dessen Vorschlag, T-Shirts mit »Rettet die Mauer!« zu bedrucken.
    Später hatte er begonnen, branchenfremd zu diversifizieren, wie er es nannte. Es ging ihm ja weniger um das Produkt als ums Geld. Oder wie sich Charlie Sheen in Wall Street ausgedrückt hatte: »I buy and sell money.« In der Zeit, als in der Stadt die illegalen Clubs wie Pilze aus dem Boden schossen, gehörte er zu den Mitbegründern des Schmelzpunkts, der anfangs großartig lief und drei Razzien unbeschadet überstand. Bei der vierten stießen die Bullen dann auf ein paar Gramm Koks, das ihnen, davon war Pedroni nicht abzubringen, einer der Besitzer des Nachtzugs, eines Konkurrenzclubs, untergejubelt hatte. Er war am gleichen Abend im Schmelzpunkt gesehen worden.
    Die Berührung mit der Clubszene hatte ihn auch mit Leuten zusammengebracht, die sich mit Koks auskannten. Damit begann die bisher lukrativste Zeit seiner Karriere. Sein Job in einer der damals angesagtesten Boutiquen ließ sich ideal mit dieser Nebentätigkeit kombinieren. Die Kundschaft des New Label stammte hauptsächlich aus der Mode-und Bankenwelt und deckte sich zum großen Teil mit seiner Privatkundschaft. Pedroni konnte sich in kürzester Zeit eine bessere Wohnung und einen fast neuen Porsche Carrera unzweifelhafter Herkunft leisten.
    Diese berufliche Phase war nicht nur ein wirtschaftlicher Aufstieg gewesen, sondern auch ein sozialer. Plötzlich wurde er von diesen Leuten nicht mehr wie ein Verkäufer behandelt, sondern wie einer von ihnen. Er hatte etwas, was sie dringend wollten, sie konnten es über ihn auf bequeme und diskrete Art beschaffen, und sie teilten ein Geheimnis mit ihm.
    Als Pedroni aufflog, hatte er über zwei Millionen Franken umgesetzt, von denen ihm die Justiz etwa die Hälfte nachweisen konnte, und über vierhunderttausend Gewinn gemacht. Er bekam dafür nur vier Jahre Zuchthaus, weil er erstens geständig und zweitens sehr kooperativ war und ein paar illustre Figuren aus der Banken-und Börsenwelt in Verlegenheit brachte. Von der Strafe saß er bei Anrechnung der Untersuchungshaft gut zwei Jahre ab und fand rasch wieder einen Job in einer Boutique. Denn in der Modeszene gab es ein paar Leute, die sich seiner Diskretion versichern wollten.
    Aber sein Einkommen war bescheiden, und er verbrachte seine Tage damit, zum Beispiel in einem goldglänzenden Anzug von Comme des Garçons mit schlabberigen Hosen und einem Jackett mit drei Knöpfen, deren

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