Der letzte Weynfeldt (German Edition)
zwischen den schwarzen Schleiflackgestellen eingelassen waren, und begann, nachlässig die Kleider durchzusehen. Hie und da nahm sie einen Bügel von der Stange, musterte das Modell, hängte es zurück oder legte es als engere Wahl über die Rückenlehne eines Ledersessels in der Nähe.
Ein Kleid von Prada aus violett und schwarz changierender Seide hielt sie etwas länger in der Hand. Sie drapierte es vor ihren Körper, raffte es über der Taille zusammen und stellte sich vor einen Spiegel. Sie zögerte, wiegte den Kopf, schien einen Entschluss zu fassen und hängte es wieder zurück. Dann fuhr sie fort, Kleiderbügel von rechts nach links zu schieben.
Bei einem schlichten, schmal geschnittenen Kleid aus schwarzer Seide, ebenfalls von Prada, hielt sie wieder inne. Sie nahm es heraus und presste es an sich. Es besaß einen runden Ausschnitt, der mit einem Knopf zusammengehalten wurde und als offener Schlitz zwischen den Brüsten bis in die Mitte des Oberkörpers führte. Die Ärmel reichten bis über die Ellbogen, der Rocksaum bis unter die Knie. Sie zögerte, verschob suchend die Kleiderbügel, bis sie wieder zum violetten Kleid gelangte, nahm es heraus, hielt beide nebeneinander, hängte beide zurück, nahm das Bündel der engeren Wahl vom Stuhl, legte es sich über den Arm, überlegte es sich anders, nahm das violette Pradamodell wieder heraus, tat es zuoberst auf das Bündel über ihrem Arm und ging damit in die Kabine.
Sie zog den Vorhang vor und hängte das violette Prada an den Kleiderhaken. Darunter lag das schwarze. Sie hatte es verdeckt vom violetten mit von der Stange genommen. Jetzt faltete und rollte sie es zu einem kleinen kompakten Stoffpaket und steckte dieses zuunterst in die Handtasche. Dann versenkte sie den leeren Kleiderbügel im Papierkorb, hängte die anderen Modelle an die Haken, schlüpfte in das violette Prada, zog den Rückenreißverschluss so hoch hinauf wie möglich und öffnete den Vorhang. Die Verkäuferin stand keine zwei Meter von der Kabine entfernt.
»Können Sie mir bitte mit dem Reißverschluss behilflich sein?«, fragte Lorena, ging aber nicht hinaus, sondern wartete, bis die Verkäuferin zu ihr in die Kabine kam. Sie wandte ihr den Rücken zu und ließ sich den Reißverschluss hinaufziehen.
Das Kleid hatte einen Stehkragen, lange, an den Unterarmen geraffte Ärmel und besaß vom breiten Ledergurt abwärts einen großzügigen keilförmigen Gehfalt bis unter die Knie.
Lorena betrachtete sich eingehend im Spiegel und gab der Verkäuferin viel Zeit, sich in der Kabine umzusehen. »Zu formlos, irgendwie«, befand sie schließlich.
Im Laufe der nächsten Viertelstunde kam Lorena in einem etwas hippiehaften Modell von Christian Lacroix aus verschiedenen großgeblümten Seidenstoffen zum Vorschein, in einem stahlblauen knöchellangen Kostüm von Issey Miyake, in einer leinenen Bluse mit Stehkragen und übergroßer gestärkter Rüsche von Emanuel Ungaro, in einem schwarzweiß quergestreiften Deux-Pièces mit riesiger schwarzer Masche von Sonia Rykiel und einem kurzen, hochgeschlossenen Kleid von Karl Lagerfeld mit breiten, eckigen Schultern und einem Reißverschluss, der vom Kragen bis zum Rocksaum reichte.
Jedes Mal machte sie ihren Catwalk zur Spiegelwand, drehte sich, betrachtete sich über die Schulter von hinten und erregte bei den wenigen Kundinnen und dem gelangweilten Personal ein wenig Aufsehen.
Bevor sie das Lagerfeld wieder auszog, rief sie die Verkäuferin in die Kabine. »Seien Sie so lieb«, sagte sie etwas herablassend, »und legen Sie mir das und das und das auf die Seite.« Sie übergab ihr drei Modelle. »Ich würde sie gerne morgen meinem Freund zeigen. Das geht doch?«
Die Verkäuferin nickte.
»Die anderen Sachen können Sie wieder mitnehmen, danke.«
Lorena zog das Lagerfeld aus und ihre eigenen Sachen wieder an. Ein himbeerfarbenes Kostüm von DKNY mit kurzem Rock und blickdichte schwarze Strumpfhosen. Sie hatte es letztes Jahr, als sie in Basel als Messehostess jobbte, in einer Boutique geklaut.
Sie nahm ihre Handtasche, verließ die Kabine, lächelte der Verkäuferin zu und stöckelte zum Ausgang.
Dort wurde sie von einer schlanken Frau mit schwarzem Pagenschnitt erwartet. Sie mochte Ende fünfzig sein, war sorgfältig geschminkt und trug ein Kostüm, das nach Jil Sander aussah. Sie lächelte Lorena zu. »Mein Name ist Melanie Gabel, ich bin die Besitzerin.«
»Freut mich«, lächelte Lorena zurück.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, Ihre
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