Der letzte Weynfeldt (German Edition)
schadlos überstanden. Aber es war schon möglich, dass Diacos Tage gezählt waren. Nur die betagten unter Weynfeldts Freunden zählten noch zu seinen Kunden. Und die wurden immer weniger. Die jüngeren konnten sich Diaco nicht leisten. Die Reichen, die er kannte – Sammler vor allem –, ließen in Mailand bei Caraceni oder in London an der Savile Row arbeiten.
Ein erstes Anzeichen, dass es mit Diaco bergab ging, hatte Adrian schon seit einiger Zeit bemerkt. Er führte plötzlich Accessoires im Angebot. Man betrat das diskrete Geschäft im ersten Stock eines Geschäftshauses in zweitbester Lage und stieß auf Ständer voller bunter Krawatten. In einer Vitrine waren Lederwaren ausgestellt – Schlüsseletuis, Brieftaschen, Portemonnaies, Gürtel –, und in einer anderen Vitrine standen die Produkte einer unbekannten Kosmetiklinie für Herren, exclusively created for Diaco.
An einem anderen Tag hätte ihn die Aussicht, dass es Diaco in nicht mehr allzu ferner Zukunft nicht mehr geben und eine weitere Anwaltskanzlei dessen Räume beziehen würde, bedrückt. Aber heute war Weynfeldt nicht so leicht zu deprimieren. Die Aussicht auf das Abendessen mit Lorena hatte ihn unempfindlich gemacht gegen die Tristesse des Alltags.
Er hatte am Vormittag die ersten Andrucke des Katalogs korrigiert und war entsetzt gewesen über die gelieferte Qualität. Er hatte über eine Stunde mit dem Management des Imperial telefoniert, in dessen Ballsaal jeweils die Auktionen durchgeführt wurden. Das bisher nur mündlich zugesicherte Datum war plötzlich durch eine Terminkollision unmöglich geworden. Und Véronique hatte ihn mit Fragen bombardiert, weil er sie gebeten hatte, ihm die Preisentwicklung der letzten zehn Jahre bei Vallotton aus dem Internet zu holen. Er war standhaft geblieben, denn er hatte noch immer kein gutes Gefühl bei »La Salamandre«. Obwohl sich das Bild, daran gab es keinen Zweifel, besser auf dem Umschlag machen würde als Hodlers Landstraße mit Telegrafenmasten.
Das alles hätte an einem anderen Tag auf seine Stimmung geschlagen. Nicht dass er übellaunig geworden wäre, er war viel zu wohlerzogen, um sich seine Launen anmerken zu lassen. Aber etwas wortkarger und etwas langsamer hätte ihn diese Stimmung schon gemacht.
Ja, langsamer. Weynfeldt hatte Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass die Zeitlupentage, wie er sie für sich nannte, die Tage, an denen er sich vorkam wie auf Grund gelaufen, dass diese Tage für ihn das waren, was andere Leute als Depressionen bezeichneten. Er hatte es in einem Roman entdeckt, bei der Beschreibung des Gefühlszustands der Protagonistin. Von selbst wäre er nicht darauf gekommen. Und jemanden, mit dem er über seine Gefühle sprechen konnte, kannte er nicht.
Aber am heutigen Tag, obwohl dieser alle Anlagen zu einem Zeitlupentag hatte, erschien ihm alles leicht und dünnflüssig.
Damit es Diaco ebenso ging, bestellte Adrian zwei Anzüge, »Übergangskleider«, wie seine Mutter sie genannt hatte.
Er aß spät und allein eine Kleinigkeit in einem vegetarischen Selbstbedienungsrestaurant und verbrachte den Rest des Nachmittags mit der Lösung des Terminproblems und dem Verfassen einer Expertise zu einer Morgenstimmung am Genfersee von Ferdinand Hodler für einen Kollegen der New Yorker Niederlassung.
Es war noch früh, als er Véronique einen schönen Abend wünschte. Er wollte noch nach Hause und sich für den Abend umziehen. Das tat er nicht immer, aber heute schon.
Das Châteaubriand besaß nur acht Tische. Es glich mehr einer eleganten Privatwohnung als einem Restaurant. Das Mobiliar bestand aus Antiquitäten, gedimmte Muranoleuchter sorgten für eine angenehme Grundbeleuchtung und eine Vielfalt von Tischlampen und Appliquen für Intimität an Tischen und Nischen.
Ein angenehmer, behaglicher Ort, nur die Bilder an der Wand waren nicht nach seinem Geschmack.
Das Restaurant hatte keine Bar, an der er auf Lorena hätte warten können. Man hatte ihn direkt an den reservierten Tisch geführt, einen für zwei gedeckten Vierertisch in einer Fensternische, die von den anderen Tischen aus kaum einsehbar war. Er kannte den Tisch von früheren, meist geschäftlichen Essen und empfand ihn als angenehm. Man konnte sich ungestört und unbelauscht unterhalten, und wenn einem der Gesprächsstoff ausgegangen war, in den kleinen, hübsch beleuchteten Garten schauen oder auf die glitzernde Stadt hinunter, die ihre Lichter im See spiegelte.
Aber jetzt, wo er mit einer Dame verabredet war,
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