Der letzte Weynfeldt (German Edition)
Tisch und wünschte guten Appetit.
Strasser hatte sein Bier wieder leer und ging nun auch zum Weißwein über. »Wo war ich?«
»Beim Neubeginn.«
»Genau. Ich muss hier weg.«
Es war nicht das erste Mal, dass Strasser auf dieses Rezept schwor. Italienreise, USA -Reise, Nordafrikareise. Jedes Mal mit Weynfeldts Unterstützung. Adrian sagte nichts, nickte nur verständnisvoll.
Strasser kam selbst darauf zu sprechen: »Nicht wie Italien, damals, oder Nordafrika. Da wollte ich einfach weg von hier, egal wohin. Das war der Denkfehler. Ich muss nicht weg von hier.« Er stopfte zwei Lachscanapés in den Mund und spülte sie mit Wein runter. »Ich muss wohin!«
Adrian pflichtete ihm bei. »Hast du schon eine gewisse Vorstellung?«
»Hiva Oa.« Die Antwort klang fast etwas gereizt. Als hätte Weynfeldt eine sehr dumme Frage gestellt.
»Wo liegt das?«, wagte dieser dennoch zu fragen.
»Marquesas. Die größte Insel der Marquesas. Gauguin liegt dort begraben.«
»Stimmt. Polynesien. Ziemlich weit ab vom Schuss.«
»Gauguin hat dort einen neuen Anfang geschafft.«
Weynfeldt sagte nicht: Gauguin war aber schon vorher ziemlich arriviert. Sondern nur noch einmal: »Stimmt.«
»Gauguin hat gesagt: ›Um etwas Neues zu tun, müssen wir zum Ursprung zurück, zur Kindheit der Menschheit.‹«
Weynfeldts wichtigstes Gauguin-Zitat lautete anders: »Kunst ist entweder Plagiat oder Revolution.« Aber er hütete sich, es auszusprechen. Er aß schweigend Frau Hausers Winzigkeiten, erst die salzigen, dann die süßen, und hörte Strassers Plädoyer für einen Aufenthalt auf den Marquesas zu. Es wurde mit jedem Satz und jedem Glas engagierter, und Rolfs Stimme nahm den warnenden Unterton an, der jede Form von Widerspruch oder Zweifel verbot.
Weynfeldt heftete den Blick auf Strassers Nasenwurzel – ein Trick, den er von seinem Vater gelernt hatte. Es ließ den Gesprächspartner glauben, man schaue ihm tief in die Augen. Dazu nickte er je nach Tonlage zustimmend oder ermunternd. Seine Gedanken schweiften ab zu Lorena. Er sah sich mit ihr in Französisch-Polynesien, beide trugen sie mit großen Hibiskusblüten bedruckte Sarongs und duftende Blumenkränze.
Irgendwann lehnte sich Strasser zurück und schwieg erwartungsvoll. Weynfeldt wusste, dass der Moment gekommen war, zu sagen: »Das klingt alles sehr plausibel. Wenn ich irgendetwas dazu beitragen kann, den Plan zu verwirklichen…«
Die günstigste Variante war nach Strassers Erkundigungen ein Businessticket bis Papeete, weil man damit den Rückflug offenlassen konnte, eine wichtige Bedingung für einen Neubeginn. Den Weiterflug nach Hiva Oa würde er von dort aus buchen. Vielleicht würde er sich auch für das Schiff entscheiden. Auf einer Insel, auf der man lange bleiben will, sollte man per Schiff ankommen.
Rolf Strasser schätzte den Kostenaufwand auf etwa fünfzigtausend Franken mit einer Option auf weitere zwanzig, dreißig, je nach Zeitlimit. Das Leben auf den Marquesas war wegen der Abgelegenheit der Inselgruppe teuer, und die Fixkosten hier – Atelier, Versicherungen, Krankenkasse, Altersvorsorge – liefen weiter. Ein verzinstes, rückzahlbares Darlehen, selbstverständlich, er rechnete fest mit seinem Durchbruch nach der Rückkehr.
Weynfeldt wusste, dass er weder zu lange zögern noch zu rasch einwilligen durfte, mit beidem konnte er Strassers Hass auf sich ziehen. Er nahm das Notizbuch aus der Innentasche seines Jacketts, zog den kleinen silbernen Stift aus der Lasche am Einband und notierte »Rolf« und »Hiva Oa« und »50’000+« und »Neubeginn«. Strasser beobachtete ihn misstrauisch. Endlich klappte Adrian das Büchlein zu, steckte es zurück und sagte: »Klingt vernünftig.«
Strasser schenkte beide Gläser voll und stieß mit Weynfeldt an. »Hiva Oa.«
»Hiva Oa«, entgegnete Adrian.
Strasser leerte das Glas in einem Zug. »Hast du irgendwo in einem nicht allzu abgelegenen Zimmer eine bequemere Sitzgelegenheit?«
Weynfeldt hatte gehofft, Strasser würde sich langsam verabschieden, jetzt, wo die Angelegenheit in seinem Sinn geregelt war. Aber offenbar fühlte er sich verpflichtet, noch etwas zu bleiben. Er führte ihn durch den Korridor zum grünen Salon, wie seine Mutter den Raum genannt hatte. Der Name war haftengeblieben, obwohl Adrian bei der Neueinrichtung die Farbe Grün konsequent gemieden hatte.
Auf dem Weg dorthin lag sein Arbeitszimmer. Weynfeldt hatte, als Strasser klingelte, die Tür offen-und den Spot angelassen. »La Salamandre«
Weitere Kostenlose Bücher