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Der letzte Weynfeldt (German Edition)

Der letzte Weynfeldt (German Edition)

Titel: Der letzte Weynfeldt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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leuchtete im dunklen Raum wie absichtlich zur Schau gestellt. Strasser blieb stehen, ging hinein, stellte sich vor das Bild, blieb eine ganze Weile so stehen, ohne etwas zu sagen, bis Adrian bemerkte: »Vallotton. Kommt wahrscheinlich auf die Auktion.«
    »Du meinst, dieser Vallotton, so wie er hier steht, kommt auf die Auktion?«
    Weynfeldt schrieb die Frage Strassers Alkoholpegel zu und bejahte sie einfach.
    Strasser kam aus dem Raum. Aus der Nähe sah er ziemlich mitgenommen aus. »Wie hoch schätzt du so etwas?«
    »Ich bin mir noch nicht ganz sicher, aber ich glaube, wir fangen bei etwa einer Million an.«
    Rolf Strasser blieb nicht mehr lange. Ohne Widerrede ließ er sich kurz darauf, von Weynfeldt mit einem Gutschein ausgerüstet, in ein Taxi verfrachten.
    Vor einer Bar in der Innenstadt saßen die Gäste mit ihren Drinks an Tischen, hockten auf den Fenstersimsen oder lehnten an der Hausmauer, als wäre Hochsommer.
    »Und das im Februar«, sagte der Taxifahrer.
    Strasser gab keine Antwort. Er hatte keine Lust, schon wieder mit jemandem über das Wetter, den Klimawandel, das Kyoto-Protokoll, George Bush, Al Gore, den Irak und den Trend zu Hybridfahrzeugen zu reden. Er hatte andere Probleme.
    Er fischte eine Chesterfield aus der Tasche und wollte sich Feuer geben.
    Wortlos klopfte der Fahrer auf ein Schild am Armaturenbrett. »Danke, dass Sie hier nicht rauchen«, stand darauf.
    Strasser behielt die Zigarette unangezündet im Mund. Dieser alte Sack, dachte er. Dieser alte Sack! Will mich für dumm verkaufen. Ich kann mich so schwer trennen von dem Bild. Arbeiten Sie bitte ganz genau. Damit ich nicht merke, dass es nicht mehr mein Salamander ist, der mich mein ganzes Leben begleitet hat. Mein ganzes Leben! Schluchz!
    Dieser alte Sack. Für achttausend! Hundertzwanzig Stunden! Sechsundsechzig Franken Stundenlohn. Für einen Künstler! Und dann will er die Kopie versteigern und das Original behalten. Mit Weynfeldt, diesem Trottel, kann er so was ja machen. Aber nicht mit Strasser. Mit Strasser nicht, alter Sack!
    Sie hatten das Zentrum hinter sich gelassen und fuhren durch die stillen Straßen des Villenviertels. Strasser steckte die Zigarette an.
    Der Fahrer ging vom Gas. »Das ist ein Nichtrauchertaxi.«
    »Aber ich bin kein Nichtraucherfahrgast«, schnappte Strasser.
    »Ich sage es nicht noch einmal.«
    »Fahren Sie, wir sind bald da.«
    Der Fahrer stoppte abrupt. »Sechzehn achtzig.«
    Strasser reagierte nicht, deutete nur mit der Hand an, er solle weiterfahren.
    »Sechzehn achtzig«, wiederholte der Fahrer betont ruhig.
    »Machen Sie schon.«
    Der Fahrer hielt Strasser wortlos die offene Hand entgegen. Strasser öffnete die Tür und wollte aussteigen. Aber was als stolzer Abgang gedacht war, endete in einem demütigenden Slapstick: Er hatte den Sicherheitsgurt vergessen.
    Als er nach dem Verschluss griff, lag dort die Hand des Fahrers. »Sechzehn achtzig.«
    Er warf ihm den von Weynfeldt unterschriebenen Gutschein hin. »Setzen Sie den Betrag ein, den Sie wollen.«
    Der Fahrer schaute sich das Papier an. »Führt sich auf wie ein Rockstar und kann nicht mal das Taxi selbst bezahlen.« Er öffnete den Verschluss des Gurtes, Strasser stieg aus, knallte die Tür zu und sagte: »Arschloch!« Das Taxi fuhr weg.
    Die Straße stieg steil an. Hinter akkurat geschnittenen Hecken und alten Vorgärten standen verträumt die rechtschaffenen Villen der Oberschicht. Da und dort war ein Fenster erleuchtet, aber es war niemand zu sehen. Auf der Straßenseite lagen nur Bäder, WC s, Küchen, Wirtschaftsräume. Und oben in den Mansarden die kaum mehr benutzten Dienstmädchenzimmer.
    Er nahm eine Abkürzung, halb Fußweg, halb Treppe. »Bienensteig« stand in weißer Schrift auf einem blauen Emailschild. Bereits nach ein paar Metern begann er zu keuchen.
    Ich glaube, wir beginnen bei einer Million! Dieses süffisante Herrensöhnchen. Ich glaube. Bin mir noch nicht ganz sicher. Vielleicht beginnen wir auch ein paar Hunderttausender höher oder tiefer. Kommt ja nicht so drauf an. Ist ja bloß Geld.
    Strasser blieb mit eingestützten Armen stehen und rang nach Luft. Vielleicht würde er auf den Marquesas aufhören zu rauchen. Jacques Brel lag auch dort begraben. Lungenkrebs.
    Wir beginnen bei einer Million und dann ab die Post. Zwei, drei, viele Milliönchen. Aber ihn mit achttausend abspeisen wollen, der alte Sack.
    Strasser begann wieder zu steigen, langsamer diesmal, mit kontrollierter Atmung.
    Er würde zehn Prozent verlangen,

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