Der letzte Weynfeldt (German Edition)
Bayer. Er besaß eines der größten Transportunternehmen Deutschlands und verbrachte einen Großteil seiner Zeit in St. Moritz und auf Sylt. Seine Frau Uschi, eine laute Münchnerin, deren Haut von einem Leben als Sonnenanbeterin vorzeitig gealtert war, nahtlos, wie es hieß. Sie wies eine lange Krankengeschichte als Patientin verschiedener Schönheitschirurgen auf, über die sie in dieser Gesellschaft ganz unverhohlen und nicht ohne Humor zu plaudern wusste.
Die Widlers waren zum ersten Mal – soweit sich Adrian erinnern konnte – nicht anwesend. So schlecht ging es dem alten Mann.
Sie pickten Bündnerfleisch von einer großen Silberplatte und tranken Champagner, der sich bei den herrschenden Temperaturen beinahe etwas zu kalt hielt.
Der dritte Renntag des White Turf war ein Fixtermin in Weynfeldts Kalender. Schon als kleiner Junge hatte Adrian am Sattelplatz die Pferde und vor allem die Jockeys in ihren seidenglänzenden großkarierten, gestreiften oder getupften Rennfarben bewundert. Und während sich seine Eltern mit den Eltern der Leute, mit denen er jetzt zusammensaß, auf der Tribüne mit Glühwein warm und mit Champagner bei Stimmung hielten, turnte er an der Absperrung der Rennbahn und wartete auf das dumpfe Trommeln der Hufe.
Adrian hatte so lange gebettelt, bis ihm seine Eltern gestatteten, Reitunterricht zu nehmen. Unter den wachsamen Augen seiner überängstlichen Mutter hatte er ein paar Lektionen absolviert, die nach einem ersten harmlosen Sturz ins weiche Sägemehl der Reithalle sofort gestoppt wurden. Seinen Berufswunsch Jockey hatte er begraben und seine Liebe zum Pferdesport darauf beschränken müssen, die Namen aller Ställe und ihre Rennfarben auswendig zu lernen sowie die Biographien aller großer Jockeys. Erst nach seinem zwanzigsten Geburtstag nahm er – heimlich – Reitunterricht und merkte bald, dass ihm dazu nicht nur das Talent fehlte, sondern vor allem die Leidenschaft seiner Kindheit abhandengekommen war.
Aber am dritten Renntag war er weiterhin sofern mög-lich hier anzutreffen. Er wohnte während des verlängerten Wochenendes in der gleichen Suite des Palace, auf die schon seine Eltern abonniert gewesen waren, führte die gleichen Gespräche, riskierte die gleichen moderaten Wetteinsätze und tat alles, was er dachte tun zu müssen, um den Lauf der Zeit zu strukturieren und dadurch zu verlangsamen.
Aber diesmal kam ihm alles schal vor. Karl Stauber schien seit dem letzten Mal um Jahre gealtert, wirkte zerstreut und verwirrt und wiederholte sich ein ums andere Mal.
Dr. Capaul provozierte seine Frau mit anzüglichen Bemerkungen über die Sambatänzerinnen, die leichtgeschürzt im Schnee die Rennpausen mit ihren Darbietungen füllten.
Kurt Weller schien abwesend und nachdenklich, und seine Frau Uschi versuchte verzweifelt die Konversation noch lauter, noch witziger in Gang zu halten.
Zum ersten Mal zog Weynfeldt in Erwägung, dass die recht haben könnten, die die Regelmäßigkeit für eine lebensverkürzende Maßnahme hielten. Plötzlich schien es ihm eine schrecklich kurze Zeit her, dass im Februar noch Schnee lag auf den Dächern, Wäldern und Hängen. Und dass ein Trabrennen auf Schnee und Eis noch nicht »Grand Prix Gaggenau Hausgeräte« hieß.
Ein wenig gebräunt kam Weynfeldt am Dienstag ins Büro. In der Stadt herrschte noch immer der falsche Frühling. Mit jedem Tag setzten sich mehr Knospen, Triebe und Blüten schutzlos dem Frost aus, der willkürlich und unbarmherzig über sie hereinbrechen würde.
Von Lorena keine Nachricht. Auf Frau Hausers handgeschriebener Anrufbeantworterliste tauchte ihr Name nicht auf. Und keines der Fragezeichen, die seine Haushälterin vor Nachrichten ohne Namen setzte. Auch in Véroniques Stoß von Notizen und ausgedruckten Mails war ihr Name nicht zu finden.
Dafür hatte sich Strasser mehrmals gemeldet und bestand – Véronique hatte das Wort zweimal unterstrichen – auf einem Treffen. Am besten heute über Mittag, spätestens heute Abend.
Es war zwar der dritte Dienstag des Monats, und dessen Mittagspause war für den Etterstamm in der Krone reserviert, das Essen mit ein paar alten Kunsthistorikern im Umfeld seines längst pensionierten Professors Etter. Aber im Hinblick auf die Zweifel an seiner Theorie der Regelmäßigkeit und darauf, dass Strasser mittags ein angenehmerer Gesprächspartner war als abends, sagte er den Etterstamm ab und verabredete sich mit Strasser zum Mittagessen im Es Corb, einem kleinen Katalanen, von dem
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