Der Leuchtturm am Ende der Welt
Verzögerung, die recht gut mehrere Tage dauern konnte, und das machte bei dem nun drohenden Eintreffen der Ablösung die Lage immer ernster. So sehr Kongre und seine Leute auch darüber murrten, es blieb ihnen nichts übrig als zu warten, zu warten um jeden Preis. Übrigens war heute erst der 19. Februar. Bis zum Ende des Monats mußte sich das Unwetter doch wohl ausgetobt haben, und beim ersten Zeichen der Besserung sollte die ›Carcante‹ die Anker lichten und in See gehen.
Da jetzt aber noch ein Fahrzeug auf die Küstenklippen geworfen worden war, bot sich eine zu gute Gelegenheit, aus dem Schiffbruche Nutzen zu ziehen, von den Trümmern zusammenzuraffen, was irgend wertvoll erschien, und damit den Wert der Ladung zu erhöhen, die die Goelette mitnehmen sollte. Die Vermehrung der Beute konnte doch einigermaßen als Ausgleich für die durch die Verzögerung erhöhte Gefahr angesehen werden.
Die betreffende Frage wurde gar nicht weiter erörtert. Man hätte sagen können, daß dieser Schwarm von Raubvögeln wie mit einem einzigen Flügelpaare aufflatterte. Die Schaluppe wurde unverzüglich zur Abfahrt klar gemacht, und ein Dutzend der Leute mit ihrem Führer nahmen darin Platz. Freilich mußte mit aller Kraft gegen den Wind angerudert werden, der mit außerordentlicher Gewalt wehte und das Wasser von außen in die Bucht hineinwälzte. Anderthalb Stunden genügten jedoch, das äußerste Ufer zu erreichen, und später mußte die Rückfahrt mit Hilfe des Segels desto schneller von statten gehen.
Der Höhle gegenüber stieß die Schaluppe im Norden der Bucht ans Land. Alle stiegen aus und eilten dem Schauplatze des Schiffbruchs zu.
In diesem Augenblick war es, wo verschiedene Rufe das Gespräch zwischen Vasquez und John Davis jäh unterbrochen hatten.
Sofort kroch der Turmwärter mehr als er ging nach dem Eingange der Höhle, natürlich immer mit der Vorsicht, sich nicht sehen zu lassen.
Einen Augenblick später stand auch John Davis neben ihm.
»Wie… ihr? sagte Vasquez. Nein, laßt mich allein hier; ihr bedürft noch der Ruhe.
– O nein, erwiderte John Davis, ich bin jetzt wieder völlig wohl… nein, ich muß diese Bande von Räubern auch einmal sehen.«
Ein energischer Mann war es entschieden, dieser Obersteuermann von der ›Century‹, von nicht wenigerschnellem Entschlusse als Vasquez, ein Sohn Amerikas mit eisernem Temperamente, der, wie man im Volke zu sagen pflegte, »eine mit dem Leibe verbolzte Seele« haben mußte, so daß sich auch nach dem Schiffbruche die eine nicht von dem andern trennen konnte.
Gleichzeitig war er ein vortrefflicher Seemann. Vor seinem Übertritte zur Handelsflotte hatte er als Oberbootsmann in der Flotte der Vereinigten Staaten gedient, und jetzt, wo Harry Steward, der Kapitän der ›Century‹, sich nach der Rückkehr nach Mobile zur Ruhe zu setzen gedachte, wollten die Reeder des Schiffes ihm dessen Führung anvertrauen.
Dieses Zusammentreffen war für ihn ein weiterer Grund gerechtfertigten Zornes. Von dem Schiffe, das er bald hätte als Kapitän übernehmen sollen, sah er nur noch formlose Trümmer, und diese obendrein in der Gewalt einer Räuberbande. Wenn Vasquez einer Anfeuerung seines Mutes bedurfte… Davis war dazu der geeignete Mann.
Doch so entschlossen, so mutig und tüchtig auch beide waren, was hätten sie gegen Kongre und seine Rotte von Spießgesellen ausrichten können?
Hinter Felsblöcken versteckt, behielten Vasquez und John Davis das Ufer bis zum Ausläufer des Kaps Sankt-Johann scharf im Auge.
Kongre, Carcante und die Übrigen waren zuerst an dem Küstenwinkel stehen geblieben, wohin der Orkan die eine Rumpfhälfte der ›Century‹ geworfen hatte, die jetzt zu Stücken zerschmettert nahe dem Fuße des Steilufers lag.
Die Raubgesellen befanden sich weniger als zweihundert Schritt weit von der Höhle, so daß man ihre Gesichter recht gut erkennen konnte. Sie waren mit Röcken aus Wachsleinwand bekleidet, die an der Taille fest anschlossen, um dem Winde weniger Angriffsfläche zu bieten, und auf dem Kopfe trugen sie Südwester, die am Kinn mit einer starken Lasche befestigt waren. Es war deutlich zu sehen, daß sie sich gegen die wütenden Windstöße nur mit Mühe aufrecht erhalten konnten, denn wiederholt mußten sie sich hinter einem Trümmerstück oder einem Felsblocke niederbeugen, um nicht umgeworfen zu werden.
Vasquez bezeichnete John Davis die darunter, die er von ihrem ersten Besuche der Höhle her kannte.
»Der Große dort, sagte
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