Der Leuchtturm am Ende der Welt
Tag.
Am Abend zogen sie sich, nachdem sie immer nach der Goelette ausgespäht und sich überzeugt hatten, daß diese noch auf ihrem Ankerplatze liegen müsse, in die Höhle zurück, wo sie bald in einen sanften, erquickenden Schlummer fielen, den sie gar sehr brauchten.
Am nächsten Tage waren sie schon mit dem Morgengrauen auf den Füßen.
Ihre ersten Blicke richteten sich hinaus nach dem Meere.
Kein Schiff war in Sicht. Die ›Santa-Fé‹ erschien nicht, und keine Rauchfahne zeigte sich am Horizonte.
Sollte die Goelette nun mit dem Gezeitenwechsel in See stechen? Schon machte sich die Ebbe bemerkbar. Wenn das Räuberschiff sie benutzte, konnte es binnen einer Stunde das Kap Sankt-Johann umsegelt haben…
An eine Wiederholung des gestrigen Handstreichs konnte John Davis gar nicht denken. Kongre würde schon auf seiner Hut sein und einen vom Ufer so entfernten Kurs steuern, daß die Kugeln ihn nicht erreichen konnten.
Es ist wohl leicht verständlich, welche Ungeduld, welche Unruhe John Davis und Vasquez bis zum Ablauf der Ebbe erfüllte. Endlich, gegen sieben Uhr machte sich die Flut bemerkbar… nun konnte Kongre bis zur nächsten Ebbe am Abend nicht abfahren.
Das Wetter war schön, der wieder umgeschlagene Wind wehte jetzt aus Nordosten. Das Meer hatte sich nach dem letzten Sturme wieder geglättet. Die Sonne strahlte glänzend zwischen leichten, hohen Wolken, an die die Brise nicht hinausreichte.
Noch ein nicht enden wollender Tag für Vasquez und John Davis; ebenso wie der gestrige ohne jeden Zwischenfall. Die Bande hatte die kleine Einbuchtung nicht verlassen. Daß sich einer der Raubgesellen am Vor-oder am Nachmittage von da entfernte, hatte wenig Wahrscheinlichkeit für sich.
»Das beweist, daß die Burschen alle bei ihrer Arbeit sind, sagte Vasquez.
– Jawohl, sie beeilen sich damit, antwortete John Davis. Die Kugellöcher werden bald genug geschlossen sein, und dann hält sie nichts mehr zurück.
– Und vielleicht… noch diesen Abend… trotz des späten Eintritts der Ebbe, bemerkte Vasquez. Freilich, diese Bucht ist ihnen ja gründlich bekannt; sie bedürfen keines Feuers zu ihrer Beleuchtung; sind ja schon letzte Nacht tief hineingefahren. Wollen sie in der nächsten Nacht hinaussteuern… ihre Goelette wird sie schon sicher hinaustragen. Ach, welches Unglück, schloß er halb verzweifelt, daß ihr das Räuberschiff nicht entmastet habt?
– Ja, was denkt ihr denn, Vasquez, gab Davis zur Antwort, wir haben doch alles getan, was in unsrer Macht stand. Gott der Herr möge das Übrige tun.
– Wir werden ihm aber helfen!« murmelte Vasquez, der plötzlich einen kühnen Entschluß gefaßt zu haben schien, mehr zwischen den Zähnen vor sich hin.
Eine Beute seiner Gedanken, ging John Davis, die Augen nach Norden gerichtet, auf dem Strande hin und her. Nichts am Horizonte… nichts!
Plötzlich blieb er stehen. Dann trat er an seinen Gefährten heran und sagte: »Hört, Vasquez, wenn wir nun einmal fortgingen, zu sehen, was die da unten machen?
– Nach dem Hintergrunde der Bucht, Davis?
– Ja… da sähen wir doch, ob die Ausbesserung vollendet und die Goelette segelklar ist.
– Und wozu sollte uns das dienen?
– O, zu wissen, wie die Sache steht, Vasquez. Ich brenne vor Ungeduld… ich kann mich nicht mehr beherrschen… mein Verlangen ist stärker als ich!«
Und wahrlich, der Obersteuermann der ›Century‹ war nicht mehr Herr seiner selbst.
»Wie weit ist es von hier bis zum Leuchtturm, Vasquez? fuhr er fort.
– Höchstens drei Seemeilen, wenn man über die Hügel in gerader Linie nach dem Hintergrunde der Bucht geht.
– Nun denn… so werde ich gehen, Vasquez. Gegen vier Uhr mache ich mich auf den Weg… vor sechs Uhr kann ich am Ziele sein… dort schleiche ich mich vor, so weit wie möglich. Wohl dürfte es noch heller Tag sein… doch mich soll niemand sehen… aber ich… ich werde sehen, was ich brauche!«
Es wäre vergeblich gewesen, John Davis abzureden. Vasquez versuchte es auch gar nicht erst, und als sein Gefährte zu ihm sagte:
»Ihr bleibt inzwischen hier und behaltet das Meer im Auge. Am Abend bin ich zurück. Ich gehe allein!… antwortete er entschlossen.
– Nein, ich begleite euch, Davis. Auch ich werde gar nicht böse darüber sein, einmal wieder in die Nähe des Leuchtturms zu kommen.«
Die Sache war hiermit entschieden und sollte ausgeführt werden.
In den wenigen Stunden, die bis zur Zeit des Aufbruchs noch verlaufen sollten, verblieb Vasquez, der
Weitere Kostenlose Bücher