Der Leuchtturm von Alexandria
Kaisers. Was seine Herkunft anbetraf, so war er, genau wie Maia sagte, ein Niemand. Deshalb war es für ihn von allergrößter Wichtigkeit, die Aufmerksamkeit des Kaisers zu erringen und sich zu erhalten.
Aber als ich ihn lachen sah, wußte ich, daß er es genoß, Menschen zu demütigen, die sich, wie mein Vater, als Aristokraten betrachteten. Hier war er, der Sohn eines Niemand, und dennoch konnte er einem reichen Senator mit der Folter drohen und zusehen, wie er zitterte. Ja, er genoß dieses Schauspiel.
»Theodoros ist ein häufiger Name«, warf Thorion ärgerlich ein. »Es muß allein im Ostreich Hunderte von mächtigen Männern dieses Namens geben. Will der Kaiser sie allesamt anklagen? Und was hat er für eine gesetzliche Handhabe?« Thorion wurde immer ärgerlich, wenn er Angst hatte: ärgerlich und aggressiv.
Festinus schnaubte verächtlich und sah ihn nachsichtig an. Du bist sehr jung, sagte sein Blick, und du verstehst nichts von diesen Dingen. »Wir werden jeden, der in dieser äußerst schwerwiegenden Angelegenheit unseren Verdacht auf sich zieht, verhören«, entgegnete er förmlich.
Die Tür zum Flur öffnete sich, und der mit der Durchsuchung beauftragte Beamte kam herein und zog den weinenden Johannes hinter sich her. Hinter ihm tauchten zwei Soldaten auf. Ich beobachtete Festinus und sah, wie seine Gesichtszüge erstarrten, wobei sich sein Mund angesichts dessen, was er da sah, vor ungeheuchelter Überraschung öffnete. Erst dann wandte ich meinen Blick von ihm ab.
Die Soldaten hatten ein großes Tuch aus purpurfarbener Seide in der Hand. Es war mit goldfarbenen Ornamenten bestickt, und die Kanten waren mit goldenen Fransen gesäumt. Sie breiteten es auf dem Fußboden über dem Mosaik des Wagenlenkers aus. Wie es da auf den farbigen Fliesen lag, leuchtete es prächtig und intensiv: kaiserlicher Purpur. Nur Kaisern war es erlaubt, Purpur zu tragen. Wenn ein anderer Mann ein solches Gewand besaß, bedeutete dies ein Kapitalverbrechen.
»Es befand sich in seiner privaten Kleidertruhe«, sagte der Beamte. »Keiner der Sklaven will es vorher schon einmal gesehen haben, und allesamt leugnen, irgend etwas davon zu wissen.«
»Nein!« protestierte Vater. Er sprang auf, schlug mit den Fäusten auf die Ruhebank, dann fiel er auf die Knie. »Nein, es ist nicht so, wie du denkst. Ich kann es erklären!«
»Du wirst das alles erklären müssen, darauf kannst du Gift nehmen«, erwiderte Festinus finster. Er war ebenfalls aufgesprungen und starrte den Purpur an. »Ich gratuliere dir, Theodoros. Ich dachte, du bist genauso schwächlich und töricht, wie du vorgibst. Ich dachte, du bist unschuldig. So, so: dann hast du also doch mit Euserios zusammen ein Komplott geschmiedet. Ist Eutropios mit von der Partie? Wer sonst noch? Nenn deine Komplizen!«
»Aber ich bin doch kein… ich meine, das Tuch war nicht für mich bestimmt.«
»Für wen denn dann? Für wen? Wir werden die Wahrheit aus dir herausbekommen. Wir werden sie ans Tageslicht zerren. Wir können dich trotz deiner Reichtümer der Folter überantworten. Wir können die Wahrheit aus dir herausreißen ! Es hat keinen Zweck, jetzt noch irgend etwas zu leugnen!«
Ich war vor Schreck beinahe in Ohnmacht gefallen, als ich den Purpur sah. Ich konnte ganz einfach nicht glauben, daß mein Vater so etwas besaß. Wenn ich nicht gesehen hätte, wie überrascht Festinus war, hätte ich geglaubt, er habe das Tuch untergeschmuggelt. Aber es gehörte meinem Vater. Das bewies auch die plötzliche Wut des Statthalters. Er war nicht einfach ärgerlich, sondern rachsüchtig: Er war zum Narren gehalten worden. Kein mehr oder weniger höfliches Gerede mehr über einen bloßen Verdacht und die Gottwohlgefälligkeit unseres Erhabenen Gebieters.
Mein Vater kniete auf dem Fußboden und zerrte am Saum des Gewandes: Er war viel zu verstört, um etwas zu sagen. Ich war immer noch zu entsetzt, um zu weinen. Doch die äußere Form des purpurfarbenen Gewandes erinnerte mich plötzlich an etwas anderes, etwas, das ich kürzlich gesehen hatte. In den Pferdeställen. Und mir wurde klar (und eine Welle der Erleichterung ließ endlich meinen Tränen freien Lauf), daß der Purpur gar kein Gewand war, sondern eine Schmuckdecke für einen Streitwagen.
»Es ist für einen Streitwagen bestimmt«, sagte ich laut.
Alle starrten mich an, als sei ich von Sinnen. All diese würdigen Männer und Beamten starrten auf ein fünfzehnjähriges Mädchen. »Könnt ihr denn nicht sehen, daß es für
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