Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
warum Annie Mats und eventuell auch ihren Mann getötet hatte. Wieso hatten sie Gråskär mitten in der Nacht verlassen und waren nach Fjällbacka gefahren? Hatte es etwas mit dem Kokain zu tun? War Mats in Geschäfte mit Annies Mann verwickelt? Stammte der unbekannte Fingerabdruck von ihr?
Patrik trat noch etwas fester aufs Gaspedal. Nun rasten sie durch Fjällbacka. Er verlangsamte seine Geschwindigkeit ein wenig, nachdem er beinahe einen Mann überfahren hätte, der am Ingrid-Bergman-Torg die Straße überquerte.
Er parkte am Hafen bei der Küstenwache und stürzte aus dem Wagen. Zu seiner Erleichterung hatte Peter bereits den Motor angelassen. Konrad und Petra rannten hinter ihm her und gingen mit an Bord.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, wiederholte Konrad. »Bis jetzt gibt es nur Indizien, und selbst wenn Sie recht haben, gibt es keinen Grund, anzunehmen, dass Ihre Frau in Gefahr ist.«
Patrik hielt sich an der Reling fest, während das Boot mit viel zu hoher Geschwindigkeit den Hafen verließ, und sah Konrad an.
»Sie kennen meine Frau nicht. Erica hat ein Talent, sich in Dinge einzumischen, die sie nichts angehen, und sogar Menschen, die nichts zu verbergen haben, sind der Meinung, dass sie zu viele Fragen stellt. Man könnte sagen, sie ist ein wenig halsstarrig.«
»Solche Frauen mag ich.« Fasziniert betrachtete Petra die Schären, zwischen denen sie hindurchrasten.
»Sie geht nicht einmal an ihr Handy«, fügte Patrik hinzu.
Die restliche Fahrt verbrachten sie schweigend. Sie sahen den Leuchtturm schon von weitem, und als die Insel näher kam, drehte sich Patrik der Magen um. Ihm ging nicht aus dem Kopf, dass Gråskär im Volksmund die Geisterinsel genannt wurde.
Peter ging vom Gas und legte neben dem Boot von Patrik und Erica an. Auf der Insel war keine Bewegung zu sehen. Weder von Lebenden noch von Toten.
Alles würde gut werden. Sie und Sam waren zusammen. Und die Toten wachten über sie.
Mit Sam auf dem Arm stand Annie summend im Wasser. Dieses Lied hatte sie ihm beim Einschlafen vorgesungen, als er noch kleiner war. Er lag völlig entspannt da und fühlte sich so leicht an, weil das Wasser ihr tragen half. Ein paar Tropfen spritzten ihm ins Gesicht, die sie behutsam abtupfte. Er mochte kein Wasser im Gesicht. Sobald er wieder munterer war und es ihm besserging, würde sie ihm Schwimmen beibringen. Er war jetzt groß genug dafür und sollte auch Fahrradfahren lernen. Bald würde er die ersten Milchzähne verlieren. Eine niedliche Zahnlücke würde deutlich markieren, dass er das Kleinkindalter hinter sich gelassen hatte.
Fredrik war immer so ungeduldig gewesen und hatte viel zu viel von ihm erwartet. Er war der Meinung, sie verhätschele Sam, weil sie angeblich nicht wollte, dass er größer wurde. Er hatte sich getäuscht. Sie wollte nichts lieber, als Sam aufwachsen zu sehen, aber er brauchte Zeit, um sich in seinem eigenen Rhythmus zu entwickeln.
Dann hatte er ihr Sam wegnehmen wollen. Unverfroren hatte er behauptet, mit einer anderen Mutter würde es Sam besser gehen. Sie summte lauter, um die Erinnerung daran zu verscheuchen, doch die schrecklichen Worte hatten sich tief in ihre Seele gebohrt und übertönten das Lied. Die andere sei besser für ihn, hatte er gesagt. Sie sei Sams neue Mama und würde mit ihm und Sam nach Italien fahren. Annie sollte nicht mehr seine Mutter sein, sondern verschwinden.
Er hatte so zufrieden gewirkt, dass sie keine Sekunde daran zweifelte, dass er es ernst meinte. Wie sie ihn gehasst hatte. Tief in ihrem Innern war der Zorn immer größer geworden und hatte schließlich Besitz von ihrem ganzen Körper ergriffen. Sie konnte sich nicht mehr zurückhalten. Fredrik bekam, was er verdiente. Nun konnte er ihnen keinen Schaden mehr zufügen. Sie hatte seinen starren Blick und das Blut gesehen.
Nun würden sie und Sam in Frieden hier auf der Insel leben. Sie betrachtete sein Gesicht. Er hatte die Augen geschlossen. Niemand würde ihn ihr wegnehmen. Niemand.
Patrik bat Peter, im Boot auf sie zu warten, und ging gemeinsam mit Petra und Konrad an Land. Auf dem Tisch im offenen Bootshaus standen noch die Kaffeetassen, und ein paar Möwen flogen kreischend von den Zimtschnecken auf.
»Sie sind bestimmt im Haus.« Petra sah sich wachsam um.
»Kommen Sie.« Patrik war ungeduldig, aber Konrad hielt ihn am Arm zurück.
»Wir gehen jetzt vorsichtig vor.«
Patrik sah ein, dass er recht hatte, und näherte sich behutsam dem Haus, obwohl er am liebsten gerannt wäre.
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