Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
zusammen, schüttelte den Kopf und riet Emelie zur Vorsicht. Edith hatte seltsame Gespräche mit angehört, Stimmen, die hinter geschlossenen Türen lauter und wieder leiser wurden, seit Karl vom Leuchtturmschiff zurück war. Er war unerwartet heimgekehrt. Jedenfalls hatte vom Dienstpersonal auf dem Hof niemand erfahren, dass der jüngste Sohn nach Hause kommen würde. Außerdem liefen solche Dinge normalerweise anders ab, hatte Edith gesagt. Emelie hörte gar nicht zu, sondern schloss aus den Worten der Freundin, dass diese ihr das plötzliche Glück missgönnte. Entschieden kehrte sie Edith den Rücken und redete nicht mehr mit ihr. Von dummem Klatsch und Tratsch wollte sie nichts wissen. Sie würde Karl heiraten.
Seitdem war eine Woche vergangen. Einen ganzen Tag hatten sie in ihrem neuen Haus verbracht. Emelie ertappte sich dabei, wie sie fröhlich vor sich hin summte. Es war wunderbar, im eigenen Haus zu arbeiten. Es war zwar nur klein, aber in seiner Einfachheit sehr hübsch. Seit der Ankunft hatte sie geräumt und geputzt, und nun war alles blitzblank und duftete nach grüner Seife. Sie und Karl hatten noch nicht viel Zeit füreinander gehabt, aber dafür würde es in Zukunft bestimmt hinreichend Gelegenheit geben. Er hatte genug damit zu tun, alles in Ordnung zu bringen. Der Leuchtturmgehilfe Julian war inzwischen auch eingetroffen und hatte schon in der ersten Nacht seinen Dienst angetreten.
Sie wusste nicht recht, was sie von dem Mann halten sollte, mit dem sie sich die Insel nun teilen mussten. Julian hatte seit seiner Ankunft auf Gråskär kaum ein Wort mit ihr gewechselt. Meistens betrachtete er sie auf eine Art, bei der ihr nicht ganz wohl war. Wahrscheinlich war er nur schüchtern. Es konnte nicht leicht sein, plötzlich auf so engem Raum mit einer Fremden zusammenzuleben. Karl kannte er ja bereits aus der Zeit auf dem Leuchtturmschiff, aber bis er mit ihr vertrauter war, würde er wohl noch eine Weile brauchen. Und wenn etwas hier draußen im Übermaß vorhanden war, dann Zeit. Emelie schaffte weiter in der Küche. Karl würde es gewiss nicht bereuen, dass er sie zur Frau genommen hatte.
S ie streckte die Hand nach ihm aus. Wie sie es damals immer getan hatte. Es hatte sich angefühlt, als wäre es erst ein paar Tage her, seit sie mit ihm hier im Bett gelegen hatte. Doch nun waren sie erwachsen. Er war kantiger und stärker behaart und hatte Narben, die es früher nicht gegeben hatte – außen und innen. Lange lag sie mit dem Kopf auf seiner Brust und zeichnete die Narben mit dem Zeigefinger nach. Sie hätte ihm gern Fragen gestellt, spürte aber tief im Innern, dass das Ganze noch zu zerbrechlich war für ein Gespräch über die vergangenen Jahre.
Nun war das Bett leer. Sie hatte einen trockenen Mund und war vollkommen erschöpft. Einsam. Ihre Hand tastete noch immer über Laken und Kopfkissen, doch Matte war fort. Genauso gut hätte ihr über Nacht ein Körperteil abhandenkommen können. So fühlte es sich an. Dann keimte Hoffnung in ihr auf. War er vielleicht unten? Sie hielt den Atem an und lauschte, aber es war kein Ton zu hören. Annie wickelte sich in die Decke und stellte die Füße auf den abgenutzten Dielenboden. Vorsichtig tappte sie zu dem Fenster, das zum Steg hinausging. Das Boot war weg. Er hatte sie verlassen, ohne sich zu verabschieden. Sie sackte an der Wand hinunter und spürte, wie die Kopfschmerzen kamen. Sie brauchte etwas zu trinken.
Mühsam zog sie sich an. Sie hatte das Gefühl, in der Nacht kein Auge zugetan zu haben, obwohl das nicht der Fall war. Sie war in seinen Armen eingeschlafen und hatte so fest geschlafen wie schon lange nicht mehr. Trotzdem pochte ihr Schädel.
Im Erdgeschoss war es still. Sie ging zu Sam hinein. Er war wach, lag aber stumm da. Ohne etwas zu sagen, nahm sie ihn auf den Arm und trug ihn an den Küchentisch. Sie strich ihm übers Haar und setzte dann Kaffee auf und trank einen Schluck. Sie hatte solchen Durst. Erst nachdem sie zwei Gläser Wasser heruntergestürzt hatte, verschwand das trockene Gefühl. Sie wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. Als ihr Durst gelöscht war, spürte sie die Müdigkeit noch massiver. Aber Sam brauchte etwas zu essen und sie auch. Sie kochte Eier, schmierte ein Butterbrot und bereitete für Sam einen Brei zu. Alles wie ferngesteuert. Sie warf einen hastigen Blick auf die Schublade im Flur. Viel war nicht mehr übrig. Sie musste sich unbedingt alles gut einteilen. Doch die Müdigkeit und der Anblick ihres
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