Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
einsamen Bootes am Steg trieben sie dazu, in den Flur zu laufen und die unterste Kommodenschublade herauszuziehen. Hastig schob sie die Hand unter die Kleidung, aber die Finger bekamen nichts zu fassen. Sie suchte noch einmal und zerrte schließlich alle Kleidungsstücke heraus. Da war nichts. Vielleicht hatte sie sich die Schublade nicht richtig gemerkt. Sie zog auch die anderen beiden heraus und kippte ihren Inhalt auf dem Fußboden aus, aber auch da nichts. Eine Welle der Panik schlug über ihr zusammen, und sie begriff plötzlich, warum ihre Hand heute Morgen beim Aufwachen über ein nacktes Bettlaken gestrichen war. Plötzlich wusste sie, warum Matte verschwunden war, ohne sich zu verabschieden.
Sie sank zu Boden, kauerte sich wie ein Embryo zusammen und hielt ihre Knie umklammert. In der Küche kochte das Wasser über.
»Lass den Jungen in Ruhe.« Gunnar blickte nicht einmal vom Bohusläningen auf, als er zum wiederholten Mal diesen Satz sagte.
»Aber vielleicht will er ja zum Abendessen herüberkommen? Oder morgen zum Sonntagsessen? Meinst du nicht?« Signe klang übereifrig.
Gunnar seufzte hinter seiner Zeitung.
»Er hat am Wochenende bestimmt was anderes vor, denn er ist ein erwachsener Mensch. Wenn er uns besuchen möchte, ruft er an oder kommt einfach vorbei. Du darfst ihm nicht so auf die Pelle rücken. Er war doch gestern Abend erst zum Essen da.«
»Ich glaube, ich werde trotzdem kurz anrufen. Nur um mich zu erkundigen, wie es ihm geht.« Signe wollte nach dem Telefon greifen, aber Gunnar streckte die Hand aus und hielt sie davon ab.
»Lass ihn jetzt in Ruhe«, sagte er mit Nachdruck.
Signe zog den Arm zurück, doch ihr ganzer Körper schmerzte vor Sehnsucht danach, Mattes Handynummer zu wählen, seine Stimme zu hören und die Versicherung, dass alles in Ordnung war. Nach der Misshandlung hatten ihre Sorgen zugenommen. Der Vorfall hatte sie in dem bestärkt, was sie immer gewusst hatte: Die Welt war ein gefährlicher Ort für Matte.
Rein verstandesmäßig war ihr klar, dass sie einen Schritt zurücktreten musste. Doch was nützte das, wenn ihr Inneres regelrecht darauf brannte, ihn zu beschützen? Er war jetzt erwachsen. Das wusste sie. Aber sie konnte trotzdem nicht aufhören, sich Sorgen zu machen.
Signe schlich sich aus dem Zimmer und nahm das Telefon im Flur. Als sie Mattes Stimme auf dem Anrufbeantworter hörte, legte sie auf. Warum ging er nicht dran?
»Ich weiß nicht, was ich machen soll.«
Erica ließ den Kopf hängen. Mitten in all dem Chaos hatten sie einen kostbaren Moment für sich. Alle drei Kinder schliefen, und sie konnten zusammen am Küchentisch sitzen, überbackenen Toast essen und sich unterhalten, ohne ständig unterbrochen zu werden. Doch Erica hatte Schwierigkeiten, den Augenblick zu genießen. Die Gedanken an Anna ließen ihr keine Ruhe.
»Du kannst nicht viel mehr tun, als für sie da zu sein, wenn sie dich braucht. Außerdem hat sie ja Dan.« Patrik legte seine Hand auf Ericas.
»Was ist, wenn sie mich hasst?« Ihre Stimme klang dünn, und die Tränen standen ihr bereits in den Augen.
»Warum sollte sie das tun?«
»Weil ich zwei Kinder bekommen habe und sie keins.«
»Aber dafür kannst du doch nichts. Das ist doch … ich weiß nicht, wie man es nennt. Schicksal vielleicht.« Patrik streichelte ihren Handrücken.
»Schicksal?« Erica sah ihn skeptisch an. »Vom Schicksal hat Anna schon mehr als genug abgekriegt. Sie war endlich dabei, glücklich zu werden, und wir beide waren uns auch wieder näher. Aber jetzt … wird sie mich hassen, ich weiß es.«
»Wie war es denn gestern bei ihr?«
Sie hatten so viel um die Ohren gehabt, dass sie gar nicht zum Reden gekommen waren. Die Kerze, die Patrik angezündet hatte, flackerte und warf abwechselnd Licht und Schatten auf Ericas Gesicht.
»Sie schlief. Ich habe eine Weile an ihrem Bett gesessen. Sie sah so klein aus.«
»Und was hat Dan gesagt?«
»Er wirkte verzweifelt. Im Moment muss er fast alles allein schultern. Die Verantwortung lastet schwer auf ihm, auch wenn er sich den Anschein zu geben versucht, er käme gut zurecht. Emma und Adrian stellen viele Fragen. Sie fragen, was mit dem Baby im Bauch passiert ist und wieso Mama die ganze Zeit schläft. Er hat mir gesagt, dass er keine Ahnung hat, was er darauf antworten soll.«
»Sie wird auch das überstehen. Es ist nicht das erste Mal, dass sie beweist, wie stark sie ist.« Patrik ließ Ericas Hand los und griff wieder zum Besteck.
»Ich weiß nicht. Wie
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