Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
Schmerzen in den Augen, als sie versuchte, die Uhrzeit zu erkennen. Welcher Tag war heute? Wie ging es Sam?
Der Gedanke an Sam gab ihr genügend Kraft, um sich aufzurichten. Sie lag neben seinem Bett. Er schlief. Schließlich gelang es ihr, die Uhr zu erkennen. Es war kurz nach eins. Sam hielt seinen Mittagsschlaf. Sie strich ihm über den Kopf.
Irgendwie musste sie es geschafft haben, sich im Fieberwahn um ihn zu kümmern. Ihr Mutterinstinkt war anscheinend stark genug gewesen. Die Erleichterung darüber machte den Schmerz erträglicher. Sie sah sich um. In seinem Bett lag eine Wasserflasche und ringsherum auf dem Fußboden waren Keksschachteln verstreut, Obst und ein Stück Käse. Trotz allem hatte sie dafür gesorgt, dass er etwas zu essen und trinken bekam.
Neben der Matratze stand ein Eimer. Von dem Geruch, der davon ausging, wurde ihr übel. Offenbar hatte sie den Eimer hingestellt, weil sie spürte, dass es ihr richtig schlecht gehen würde. Ihr Magen war leer, anscheinend hatte sie den gesamten Inhalt von sich gegeben.
Langsam versuchte sie, auf die Beine zu kommen. Um Sam nicht zu wecken, unterdrückte sie ein lautes Stöhnen. Schließlich stand sie wacklig, aber aufrecht da. Es war wichtig, dass sie jetzt Flüssigkeit zu sich nahm und etwas aß. Sie hatte keinen Hunger, doch der Magen wehrte sich mit lautem Knurren dagegen, dass er nichts zu tun hatte. Sie nahm den Eimer, vermied aber tunlichst, einen Blick hineinzuwerfen, während sie ihn aus dem Zimmer trug. Als sie die Haustür mit der Schulter aufdrückte, bibberte sie überrascht. Die beginnende Sommerhitze musste eine Pause eingelegt haben, während sie krank war.
Vorsichtig ging sie weiter zum Steg und leerte mit abgewandtem Gesicht den Eimer aus. Dann knotete sie ein Seil an den Henkel, ließ den Eimer auf der anderen Seite des Stegs hinunter und spülte ihn mit Meerwasser aus.
Der Wind peitschte ihr ins Gesicht, als sie schlotternd wieder ins Haus ging. Ihr ganzer Körper protestierte gegen die Anstrengung, und sie spürte, wie ihr der Schweiß herunterlief. Angewidert riss sie sich alle Kleider vom Leib und wusch sich notdürftig, bevor sie sich ein trockenes T-Shirt und eine Jogginghose anzog. Mit zitternden Fingern schmierte sie sich ein Brot, schenkte sich ein Glas Saft ein und setzte sich damit an den Küchentisch. Erst nach ein paar Bissen konnte sie schmecken, was sie aß, und verschlang dann gleich noch zwei Butterbrote. Allmählich kehrten ihre Lebensgeister zurück.
Sie sah noch einmal auf ihre Armbanduhr und das Kästchen mit dem Datum. Nach ein bisschen Kopfrechnen kam sie zu dem Schluss, dass heute Dienstag war. Fast drei Tage lang war sie krank gewesen. Drei leere Tage voller Träume. Was hatte sie eigentlich geträumt? Sie versuchte, die Bilder festzuhalten, die durch ihren Kopf wirbelten. Ein Bild war immer wiedergekommen. Annie schüttelte den Kopf, spürte aber, wie mit der Bewegung die Übelkeit zurückkam. Sie biss von einem vierten Butterbrot ab, und ihr Magen beruhigte sich ein wenig. Eine Frau. In ihren Träumen hatte es eine Frau gegeben, und mit ihrem Gesicht war etwas gewesen. Annie runzelte die Stirn. Irgendetwas an der Frau war ihr so vertraut vorgekommen. Sie wusste, dass sie sie schon einmal gesehen hatte, nicht aber, wo.
Sie stand auf. Mit der Zeit würde es ihr sicher wieder einfallen. Eine Empfindung aus dem Traum hatte sich jedoch noch nicht verflüchtigt. Die Frau hatte so traurig ausgesehen. Mit dem gleichen Gefühl von Trauer ging Annie ins Zimmer, um nach Sam zu sehen.
Patrik hatte schlecht geschlafen. Ericas Sorge um Anna steckte an. In der Nacht war er mehrmals aufgewacht und hatte sich mit dunklen Gedanken darüber gequält, wie schnell sich das Leben verändern konnte. Seine eigene Erfahrung hatte ihm auch ein wenig den Boden unter den Füßen weggezogen. Vielleicht war es gut, wenn man das Leben nicht als selbstverständlich betrachtete, aber andererseits hatte sich eine nagende Angst in ihm festgesetzt. Er ertappte sich dabei, dass er auf eine Weise übermäßig besorgt war, die er gar nicht von sich kannte. Er sah es nicht gern, wenn Erica die Kinder im Auto mitnahm. Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn sie gar nicht gefahren wäre. Und richtig sicher hätte er sich erst gefühlt, wenn sie und die Kinder nie wieder vor die Tür gegangen, sondern für immer – weitab von allen Gefahren – zu Hause geblieben wären.
Natürlich war ihm klar, dass es weder gesund noch rational war, so zu
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