Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
gleichmäßig. An ihrem leisen Schnaufen merkte Erica, dass sie schlief. Auf Zehenspitzen trat sie zu ihr und setzte sich vorsichtig auf die Bettkante. Zärtlich legte sie ihrer Schwester eine Hand auf die Hüfte. Sie würde ihr beistehen, ob Anna wollte oder nicht. Sie waren Schwestern. Sie waren Freundinnen.
»Papa ist wieder da!« Patrik lauschte und tatsächlich hatte sein Ruf die übliche Reaktion zur Folge. Zwei flinke Füße tippelten über den Fußboden. Einen Augenblick später bog Maja mit rasender Geschwindigkeit um die Ecke und sauste in seine Arme.
»Papaaa!« Sie bedeckte sein Gesicht mit Küssen, als wäre er nicht nur von einem Arbeitstag, sondern von einer Weltumsegelung zurückgekehrt.
»Hallo, mein Liebling!« Er drückte sie fest an sich, bohrte seine Nase in ihre Halsgrube und sog diesen ganz besonderen Majaduft ein, der sein Herz höher schlagen ließ.
»Ich dachte, du wolltest nur halbtags arbeiten.« Seine Mutter wischte sich die Finger an einem Küchenhandtuch ab und warf ihm den gleichen Blick zu wie in seiner Jugend, wenn er später als vereinbart nach Hause kam.
»Ja, ich weiß, doch es war so schön, wieder dort zu sein, dass ich ein bisschen länger geblieben bin. Aber ich gehe es ruhig an. Wir haben nichts Dringendes zu tun.«
»Das wirst du selbst am besten wissen. Man muss jedenfalls auf seinen Körper hören. Solche Dinge darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen.«
»Ja, ja.« Patrik hoffte, dass seine Mutter bald das Thema wechseln würde. Sie brauchte sich keine Sorgen zu machen. Die Angst, die er auf der Fahrt im Krankenwagen nach Uddevalla gehabt hatte, steckte ihm noch immer in den Knochen. Er hatte geglaubt, sterben zu müssen. Im Grunde war er felsenfest davon überzeugt gewesen. Bilder von Maja, Erica und den Zwillingen, die er nie kennenlernen würde, gingen ihm immer wieder durch den Kopf und vermischten sich mit dem Schmerz in seiner Brust.
Erst als er auf der Intensivstation wieder aufwachte, wurde ihm klar, dass er überlebt hatte. Sein Körper hatte lediglich einen Warnschuss abgegeben, damit er sich ein bisschen Ruhe gönnte. Dann erfuhr er von dem Autounfall, und ein anderer Schmerz ergriff Besitz von ihm. Er wurde im Rollstuhl zu den Zwillingen gefahren, hätte aber im ersten Moment am liebsten in der Tür kehrtgemacht, weil sie so klein und hilflos waren. Da er sich nicht vorstellen konnte, dass so winzige Wesen überlebensfähig waren, wollte er sich ihnen gar nicht erst nähern und sie auch nicht anfassen. Denn er wusste nicht, ob es ihm dann gelingen würde, Abschied von ihnen zu nehmen.
»Wo sind deine Brüder?«, fragte er Maja. Er hielt sie immer noch im Arm, und sie hatte ihre Ärmchen fest um seinen Hals geschlungen.
»Sie schlafen. Aber sie haben Kacka gemacht. Ganz viel. Oma hat sie gewickelt. Das war bäh.« Sie verzog das Gesicht.
»Sie waren wie die Engel«, strahlte Kristina. »Sie haben jeder fast zwei Flaschen von der Folgemilch getrunken und sind problemlos eingeschlafen. Also, nachdem sie ihren Stuhlgang erledigt hatten, wie Maja bereits verraten hat.«
»Ich sehe mal nach ihnen«, sagte Patrik. Seit sie aus dem Krankenhaus entlassen worden waren, hatte er jede freie Minute in ihrer Nähe verbracht. Bei der Arbeit hatte er sich heftig nach ihnen gesehnt.
Er ging die Treppe hinauf ins Schlafzimmer. Um die beiden nicht zu trennen, hatten sie die Jungs in ein Bettchen gelegt. Nun lagen sie eng nebeneinander und steckten die Nasen zusammen. Noels Arm lag auf dem von Anton, als wollte er ihn beschützen. Patrik fragte sich, wie die Rollenverteilung zwischen ihnen aussehen würde. Noel wirkte etwas willensstärker, er schrie etwas lauter als Anton, der sich am ehesten als genügsam beschreiben ließ. Solange er genug zu essen bekam, wenn er Hunger hatte, und schlafen durfte, wenn er müde war, gab er nichts als fröhliches Gebrabbel von sich. Noel dagegen äußerte massiven Protest, wenn er nicht hundertprozentig zufrieden war. Er schätzte es überhaupt nicht, wenn man ihn umzog oder seine Windeln wechselte. Und am allerschlimmsten fand er das Baden. Seinem Geschrei nach zu urteilen, war Wasser lebensgefährlich.
Patrik beugte sich lange über das Gitterbett. Sowohl Noels als auch Antons Augäpfel bewegten sich im Schlaf unter den Lidern. Er überlegte, ob sie wohl von den gleichen Dingen träumten.
Annie saß in der Abendsonne auf der Treppe, als sie ein Boot kommen sah. Sam war bereits eingeschlafen. Langsam stand sie auf und ging
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