Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
überallhin begleitet und ihr Halt gegeben. Das Mindeste, was sie ihm schuldete, war eine Antwort.
»Ich denke darüber nach, wie sehr ich ihn hasse.« Sie spürte, wie sie die Kiefer zusammenpresste. »Ich denke darüber nach, wie viel er kaputtgemacht und wie viel er mir und uns genommen hat. Denkst du nicht genauso?«
Plötzlich bekam sie Angst. Im Hass auf Olof waren sie immer vereint gewesen. Er war der starke Kitt gewesen, der sie zusammengehalten und dafür gesorgt hatte, dass sie keine getrennten Wege gegangen waren, sondern alle Höhen und Tiefen gemeinsam durchlebt hatten. Vor allem Tiefen.
»Ich weiß nicht.« Anders sah aufs Meer hinaus. »Vielleicht wird es Zeit …«
»Zeit wofür?«
»Zu verzeihen.«
Da waren sie. Die Worte, die sie nicht hören, und der Gedanke, den sie nicht denken wollte. Wie sollten sie Olof jemals vergeben? Er hatte ihnen ihre Kindheit genommen und sie zu Erwachsenen gemacht, die sich wie Schiffbrüchige aneinander klammerten. Er war die Triebkraft hinter allem, was sie getan hatten und immer noch taten.
»Ich habe in letzter Zeit viel darüber nachgedacht«, fuhr Anders fort. »So können wir nicht weitermachen. Wir sind auf der Flucht, Vivianne, aber wir fliehen vor einer Sache, der wir nicht entkommen können, weil sie sich hier drinnen befindet.« Er tippte sich an die Stirn. Sein Blick war bohrend und entschlossen.
»Was willst du damit sagen? Bekommst du kalte Füße?« Hinter ihren Lidern brannten Tränen. Würde er sie jetzt verlassen? Im Stich lassen, genau wie Olof?
»Es ist, als wären wir ständig auf der Suche nach dem Gold am Ende des Regenbogens, weil wir glauben, dass Olof verschwindet, sobald wir es gefunden haben. Mir wird immer klarer, dass wir vergeblich danach suchen. Wir werden es nie finden, weil es gar nicht existiert.«
Vivianne schloss die Augen. Allzu deutlich erinnerte sie sich an den Dreck, die Gerüche und die Menschen, die ein und aus gingen, ohne dass Olof auf Vivianne und Anders aufgepasst hätte. Olof hasste sie. Er sagte ihnen, sie hätten nie geboren werden dürfen und seien wegen ihrer Sünden bei ihm gelandet. Sie seien abscheulich, hässlich und dumm und hätten ihre Mutter in den Tod getrieben.
Hastig öffnete sie die Augen wieder. Wie konnte Anders von Vergebung sprechen? Wie oft war er dazwischengegangen, hatte ihren Körper mit seinem eigenen geschützt und die heftigsten Schläge eingesteckt.
»Ich will nicht über Olof reden.« Ihre Stimme klang gepresst, denn Vivianne hielt so viel zurück. Angst breitete sich in ihr aus. Was hatte es zu bedeuten, dass Anders von Verzeihen sprach, obwohl das vollkommen undenkbar war?
»Ich liebe dich, Schwesterchen.« Sanft strich Anders ihr über die Wange. Doch Vivianne hörte ihn nicht. Die dunklen Erinnerungen rauschten zu laut in ihren Ohren.
»Sieh mal einer an. Vornehmer Besuch.« Tord Pedersen sah sie über den Rand seiner Brille an.
»Wir dachten uns, der Berg kann auch zum Propheten kommen.« Patrik reichte ihm lächelnd die Hand. »Das ist meine Kollegin Paula Morales. Wir waren im Sahlgrenska, um über Mats Sverin Erkundigungen einzuziehen, und da wollten wir die günstige Gelegenheit nutzen, um dich zu fragen, wie du so vorankommst.«
»Ihr seid ein bisschen zu früh dran.« Pedersen schüttelte den Kopf.
»Weißt du noch gar nichts?«
»Na ja, ich habe erst einen kurzen Blick auf ihn geworfen.«
»Und was denken Sie?«, fragte Paula.
Pedersen lachte.
»Ich hätte nicht gedacht, dass es noch schlimmer werden kann als mit Patrik, der mir ständig im Nacken sitzt.«
»Tut mir leid«, sagte Paula, sah Pedersen aber noch immer an, als würde sie eine Antwort erwarten.
»Gehen wir in mein Zimmer.« Pedersen öffnete eine Tür gleich links von ihnen.
Sie folgten ihm und setzten sich vor den Schreibtisch, während Pedersen ihnen gegenüber Platz nahm. Er faltete die Hände.
»Nachdem ich eine oberflächliche Untersuchung vorgenommen habe, kann ich zumindest sagen, dass die einzige sichtbare Verletzung das Einschussloch am Hinterkopf zu sein scheint. Allerdings weist er einige verheilte Wunden auf, die noch recht frisch wirken und offenbar von einer wenige Monate zurückliegenden Misshandlung stammen.«
Patrik nickte. »Deswegen waren wir drüben im Krankenhaus. Wie lange war er vermutlich schon tot?«
»Höchstens eine Woche, nehme ich an. Das wird die Obduktion erweisen.«
»Wissen Sie, welcher Typ Schusswaffe verwendet worden sein könnte?« Paula beugte sich nach
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