Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
biederen Kurzhaarfrisur herumlaufen. Sie hatte etwas an sich, das Begierde und Neid erweckte. Am liebsten wäre man wie sie gewesen, und am zweitliebsten wollte man mit ihr befreundet sein. Für Erica traf keins von beidem zu. Sie war auch auf keinem Bild zu sehen. Sie hatte zwar selbst fotografiert, aber es hätte ihr schließlich jemand die Kamera aus der Hand nehmen können, damit sie mit aufs Bild kam. Sie war unsichtbar. Verborgen hinter der Linse hatte sie begierig festgehalten, was sie am liebsten selbst erlebt hätte.
Erica ärgerte sich, dass ihre Verbitterung so heftig war. Die Erinnerungen an diese Zeit machten sie klein, und sie fühlte sich wieder wie das junge Mädchen und nicht wie die Frau, die sie inzwischen geworden war. Sie war eine erfolgreiche Schriftstellerin, glücklich verheiratet und hatte drei wundervolle Kinder, ein schönes Haus und gute Freunde. Trotzdem spürte sie, wie die Eifersucht von damals ihr die Brust zusammenpresste, sehnte sie sich danach, dazuzugehören, und spürte den brennenden Schmerz darüber, dass es niemals dazu kommen würde. Egal, wie sie sich auch anstrengte, sie war nicht gut genug.
Die Jungs auf der Wolldecke begannen zu quengeln. Erleichtert, dass sie aus ihren Gedanken gerissen wurde, stand sie auf und nahm sie auf den Arm. Das Jahrbuch und den Rest ließ sie auf dem Sofa liegen. Patrik würde bestimmt auch einen Blick darauf werden wollen.
»Wo fangen wir an?« Paula kämpfte gegen die Reisekrankheit an. Ihr war schon seit Uddevalla schlecht, und seitdem war es immer schlimmer geworden.
»Sollen wir einen Moment anhalten?« Patrik warf einen Seitenblick auf ihr Gesicht, das eine beunruhigend grüne Farbe angenommen hatte.
»Nein, wir sind ja bald da.« Sie schluckte.
»Ich finde, wir sollten mit dem Sahlgrenska-Krankenhaus beginnen«, sagte Patrik. Verbissen lenkte er den Wagen durch die komplizierte Verkehrsführung von Göteborg. »Wir haben die Erlaubnis, uns die Krankenakten von Mats anzusehen. Außerdem habe ich den Arzt angerufen, der damals für Mats zuständig war. Er weiß, dass wir kommen.«
»Gut.« Paula schluckte erneut. Es gab nichts Schlimmeres für sie als Übelkeit.
Als sie zehn Minuten später auf dem Parkplatz des Sahlgrenska ankamen, sprang sie, kaum dass sie angehalten hatten, aus dem Auto. Sie lehnte sich an die Tür und atmete tief ein und aus. Langsam ließ das Unwohlsein nach, aber ein flaues Gefühl blieb. Sie wusste, dass es sich erst legen würde, wenn sie etwas in den Magen bekam.
»Bist du bereit? Oder möchtest du noch einen Augenblick warten?«, fragte Patrik, aber sie sah, dass er vor Ungeduld vibrierte.
»Schon okay, wir können gehen. Weißt du den Weg?« Sie deutete auf das riesige Gebäude.
»Ich glaube schon.« Er ging auf den Eingang zu.
Nachdem sie zunächst in die falsche Richtung gelaufen waren, klopften sie schließlich an die Tür von Nils-Erik Lund, dem Arzt, der während Mats Sverins wochenlangem Aufenthalt im Sahlgrenska für seine Behandlung zuständig gewesen war.
»Herein«, ertönte eine herrische Stimme, und sie traten folgsam ein.
Der Arzt stand von seinem Schreibtischstuhl auf und kam mit ausgestreckter Hand auf sie zu.
»Die Polizei, nehme ich an?«
»Ja, wir haben miteinander telefoniert. Patrik Hedström und das ist meine Kollegin Paula Morales.«
Sie begrüßten sich und tauschten die üblichen Höflichkeitsfloskeln aus.
»Ich habe alles herausgesucht, was Sie meiner Ansicht nach benötigen.« Nils-Erik Lund schob einen Ordner über den Tisch.
»Vielen Dank. Würden Sie uns erzählen, was Sie noch über Mats Sverin wissen?«
»Da ich jedes Jahr Tausende von Patienten habe, kann ich mich unmöglich an alle erinnern. Beim Lesen der Akten konnte ich mein Gedächtnis allerdings ein wenig auffrischen.« Er zupfte an seinem üppigen weißen Bart.
»Der Patient kam mit erheblichen Verletzungen zu uns. Er war schwer misshandelt worden, wahrscheinlich von mehreren Personen. Nach diesen Dingen müssen Sie die Polizei fragen.«
»Das tun wir«, sagte Patrik. »Halten Sie sich bitte nicht mit Ihren persönlichen Gedanken und Überlegungen zurück. Jede Information, die Sie uns geben, könnte wertvoll sein.«
»Nun denn«, sagte Nils-Erik Lund. »Ich werde mich nicht der exakten Terminologie bedienen, die können Sie später in den Akten nachlesen, aber zusammenfassend kann man sagen, dass der Patient Schläge und Tritte gegen den Kopf bekommen hat, die nicht nur eine kleine Blutung im Gehirn,
Weitere Kostenlose Bücher