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Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)

Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)

Titel: Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Winterson
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heraus, drehte es immer wieder hin und her. Er dachte an das arme Männchen, der die Jungen in seinem Beutel trug, ehe ihn das ansteigende Wasser für immer am Felsen festgemacht hatte.
    Festgemacht am Felsen.
Er mochte dieses Kirchenlied.
Kann dein Anker den Stürmen des Lebens trotzen?
Er sang es vor sich hin:
Wir haben einen Anker, der unsere Seele sicher hält, wenn über uns die Stürme toben. Festgemacht am Felsen, dem unbewegten Stein, so sind wir verankert in der Liebe unsres Herrn.
    Festgemacht am Felsen. Und er dachte an Prometheus, an seinen Felsen gekettet, weil er den Göttern das Feuer gestohlenhatte. Prometheus, dessen tägliche Marter es war, dass ihm die Leber von einem Adler herausgerissen wurde, und dessen nächtliche Marter es war, dass er sie nachwachsen spürte, jung und zart wie bei einem Kind.
    Festgemacht am Felsen.
Das war der Wahlspruch von Salts; ein Küstendorf, ein Fischerdorf, wo jede Ehefrau und jeder Seemann einfach glauben musste, dass ein zuverlässiger Gott imstande war, die unwägbaren Wellen zu zähmen.
    Aber angenommen, die unwägbare Welle war Gott selbst?
     
    Der Mann hatte sich die Stiefel ausgezogen, seine Kleidung ordentlich zusammengefaltet und darauf abgelegt. Er war nackt, und er wollte langsam ins Meer gehen, um niemals wiederzukehren. Einen einzigen Gegenstand wollte er mitnehmen, das Seepferdchen. Zusammen würden sie zurück durch die Zeit schwimmen, an einen Ort vor der Sintflut.

Es war unser letzter Tag als wir selbst.
    Ich war früh aufgestanden, um den Speck zu braten. Während er vor sich hin brutzelte, brachte ich Pew seine Tasse Full Strength Samson und sang unterwegs:
Kann dein Anker den Stürmen des Lebens trotzen?
    »Pew! Pew!«
    Aber er war schon auf und davon, und HundJim hatte er mitgenommen.
    Ich suchte den ganzen Leuchtturm nach ihm ab, bis ich entdeckte, dass das Makrelenboot weg war, und die Seemannskiste auch. Er hatte wohl noch die Instrumente poliert, denn die Politur und die Tücher lagen noch da, und alles glänzte und roch nach harter Arbeit.
    Ich rannte hinauf zum Leuchtfeuer, wo das Fernrohr stand, mit dem wir die Schiffe identifizierten, die sich nicht über Funk bei uns meldeten. Ich hoffte, Pew in seinem Boot ausmachen zu können, weit draußen auf See. Aber da war niemand. Das Meer war menschenleer.
    Es war sieben Uhr morgens, und am Mittag wollten sie wegen des Feuers kommen. Ich hatte den Impuls zu gehen und alles so zurückzulassen, wie ich es gekannt hatte, um alles im Gedächtnis zu behalten, wo es sicher vor Zerstörung war. Warum sollte ich mit ansehen, wie sie die Geräte abbauen und unsere Wohnung an Seilen zur Erde lassen? Ich packte meine Sachen, und dann entdeckte ich in der Küche die Blechbüchse.
    Ich wusste, dass Pew sie für mich dagelassen hatte, denn er hatte eine Silbermünze auf den Deckel gelegt. Er konnte nicht genug sehen, um zu lesen oder zu schreiben, aber er erkannte die Dinge an ihrer Form. Meine Form war eine Silbermünze.
    In dieser Dose bewahrte Pew die Teeblätter und den Pfeifentabak auf. Tee und Tabak waren noch da, eingepackt in Papiertüten, und unter den Tüten lagen ein paar Bündel Geldscheine, offenbar das, was sich Pew im Lauf seines Lebens zusammengespart hatte. Darunter war ein Haufen alter Münzen, Sovereigns und Guineen und silberne Sixpence-Stücke und grüne Dreipence-Stücke. Abgesehen von dem Geld fand ich noch ein altmodisches Opernglas, das zusammengeklappt in einem Lederetui steckte, sowie ein paar ledergebundene Bücher.
    Ich nahm sie heraus. Es waren zwei Erstausgaben: Charles Darwin,
Die Entstehung der Arten
,1859, und
Dr. Jekyll und Mr. Hyde,
1886. Bei den anderen Büchern handelte es sich um die Tagebücher und Briefe Babel Darks.
    Der eine Stapel bestand aus ordentlichen ledergebundenen Büchern, die Seiten waren eng mit winziger Schrift und Tintenzeichnungen von Blumen und Fossilien bedeckt – Darks Aufzeichnungen über sein Leben in Salts. Dann war da eine in Papier eingeschlagene abgewetzte Ledermappe mit der Prägung BD in einer Ecke. Ich zog die braune Schleife auf, und ein Stapel loser Blätter fiel mir vor die Füße. Die Handschrift war groß und unsicher. Auch Selbstporträts befanden sich darunter, allesamt mit ausradierten Augen, und Aquarelle auf Karton von einer schönen Frau, immer halb abgewandt.
    Ich wollte das alles lesen, aber hier blieb mir keine Zeit mehr.
    Dann musste diese Vergangenheit eben mit in die Zukunft geschleppt werden, denn die Gegenwart war unter

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