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Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)

Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)

Titel: Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Winterson
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sie muss gehört werden. Im endlosen Geplapper des Erzählens wartet die Geschichte trotz des täglichen Lärms, gehört zu werden.
    Manche behaupten, die besten Geschichten seien die ohne Worte. Aber diese Leute sind nicht zum Leuchtturmwärterausgebildet. Es stimmt schon, dass Worte flüchtig sind und die wichtigen Dinge oftmals ungesagt bleiben. Die wichtigen Dinge erfahren wir aus Gesichtern, aus Gesten, aber nicht von unseren gehemmten Zungen. Die wahren Dinge sind oft zu groß oder zu klein, jedenfalls immer in der falschen Größe, um in die Schablone unserer Sprache zu passen.
    Das weiß ich. Aber ich weiß noch etwas anderes, denn ich bin zum Leuchtturmwärter ausgebildet. Dreht man den täglichen Lärm runter, breitet sich erst erleichterte Stille aus. Und dann kehrt ganz leise, so leise wie das Licht, der Sinn zurück.
    Worte sind derjenige Teil Stille, der ausgesprochen werden kann.
     
    Den schlachtschiffartigen Lastwagen ausweichend, musste ich feststellen, dass die Taverne Ends Meet durch ein Ding namens Holiday Inn ersetzt worden war. In Pews Geschichten verlangten die einfachen Seeleute immer nach einer Hängematte, da sie nur halb so teuer war wie ein Bett, doch im Holiday Inn gab es keine Hängematten, also ließ ich mich wohl oder übel zu einem Einzelzimmer mit Einzelbett überreden.
    Als ich mich nach Pew erkundigte, sagte mir die Frau am Empfang, dass kein Gast unter dem Namen Pew bei ihnen abgestiegen sei, aber dass ein ungewöhnlicher Mann – so drückte sie sich aus – mit einem kleinen Hund da gewesen sei und nach einem Zimmer gefragt habe. Sie habe ihn nicht unterbringen können, denn a) sei das Hotel nicht für Haustiere ausgestattet und b), weil Dublonen in der Eurozone keine gültige Währung mehr darstellten.
    »Wo ist er hin?«, fragte ich eifrig und aufgeregt.
    Sie wusste es nicht, dennoch war ich mir sicher, dass er eines Tages zu mir zurückkommen würde.
    Ich beschloss, Miss Pinchs Rat zu folgen und mir einen Jobzu suchen. Pews Geld würde ich so lange behalten, bis er Verwendung dafür hatte.
    Am nächsten Morgen stand ich gewaschen und ordentlich angezogen in meinem Zimmer vor dem Spiegel und überlegte, ob ich meine Öljacke anziehen sollte oder nicht. Sie war gelb und viel zu groß. Während ich im Leuchtturm keinen Gedanken daran verschwendet hatte, machte mich das Holiday Inn irgendwie befangen. Eigentlich war doch Bristol ein Seehafen, das hatte Pew zumindest immer behauptet, aber am Tag zuvor war ich im Einkaufszentrum die Einzige in einer gelben Öljacke gewesen.
    Ich zog mir stattdessen einen zweiten Pullover über.
     
    Mit Feuereifer stellte ich mich in der Bibliothek vor, erfuhr aber von der Bibliothekarin, dass ich weder Erfahrung noch ein Diplom hätte.
    »Aber ich könnte doch einfach nur Bücher ins Regal räumen.«
    »Dafür besteht kein Bedarf.«
    Ich sah mich um. Die Regale standen voller Bücher.
    »Aber irgendjemand muss es doch machen. Ich mach’s gerne für Sie.«
    »Wir haben gegenwärtig keine Kapazitäten.«
    »Ich will ja auch keine Kapazitäten.« (Ich dachte wieder an das, was Miss Pinch sagte, als weibliche Person lieber nicht zu viel Ehrgeiz an den Tag zu legen.) »Ich will nur einen Job.«
    »Ich fürchte, das wird nicht möglich sein. Aber du kannst dich gerne bei uns in der Bibliothek aufhalten, wenn du dich für Bücher interessierst.«
    »Ja, gern, vielen Dank, das werde ich tun.«
    »Hier ist das Formular. Wir brauchen den ständigen Wohnsitz, einen Beleg des Strom- und Wasserversorgers und ein signiertes Foto.«
    »Wie ein Filmstar?«
    »Das Foto muss von jemandem unterschrieben werden, der dich seit mindestens zwei Jahren kennt.«
    »Miss Pinch würde das bestimmt machen …« (Allmählich hatte ich den Verdacht, dass diese Bibliothekarin eine Verwandte von Miss Pinch war.)
    »Wo wohnst du?«
    »Im Holiday Inn.«
    »Das ist kein ständiger Wohnsitz.«
    »Nein, ich bin gerade erst aus Schottland gekommen.«
    »Hattest du in der dortigen Bücherei einen Benutzerausweis?«
    »Es gab keine Bücherei. Alle drei Monate kam ein Lieferwagen, aber der hatte nur Mills & Boon, True Crime, Ornithologie, WK 2, Stadtgeschichte, die wir sowieso alle kannten, weil es kaum welche gab, und Dosenfrüchte. Der Wagen war auch eine Art Lebensmittellieferant.«
    »Hast du einen Nachweis deines Wohnsitzes in Schottland?«
    »Den kennt jeder. Das war der Leuchtturm am Cape Wrath. Immer die Küste hoch, kann man gar nicht verfehlen.«
    »Das heißt, deine

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