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Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)

Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)

Titel: Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanette Winterson
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auf den Bauch und begann den Hund nach oben zu ziehen, bis er ihn im Nackenfell packen konnte. Und ihm dabei helfen konnte, über den Rand des Abhangs zu krauchen.
    Beide hechelten erschöpft, und an Wasser hatte der Mann nicht gedacht.
    Er rollte sich auf den Rücken, sah die Wolken am Himmel vorüberrasen und befühlte das Seepferdchen in seiner Tasche. Er würde es an die Archäologische Gesellschaft schicken und den Leuten von seinem Fund erzählen. Doch noch während er seinen Entschluss fasste, ging ihm auf, dass er das Seepferdchen lieber, oder besser gesagt, um alles in der Welt behalten wollte, und so ließ er sich zur großen Verblüffung seines Hundes wieder an dem Seil hinab und meißelte ein weiteres aussagekräftiges Stück Stein aus der Wand heraus. Sie waren wie die Steintafeln, die Moses in der Wüste empfing. Sie waren die Geschichte Gottes und der Welt. Sie waren sein unveräußerliches Gesetz; die Entstehung der Erde, eingeschrieben in Stein.
    Als er nach Hause kam, fühlte er sich besser, leichter, und das Essen mit dem Bischof machte ihm Spaß, und später, in seinem Arbeitszimmer, verpackte er das zweite Fossil und ließ es vom Stallburschen an die Archäologische Gesellschaft schicken. Er versah es mit einem Paketetikett aus Pappe, darauf Datum und Fundort.
     
    Dergleichen hatte Salts noch nicht erlebt. Innerhalb von zwei Wochen stiegen scharenweise Paläontologen im Rock and Pit ab, liefen über in die Gästezimmer altjüngferlicher Tanten, schliefen provisorisch auf Feldbetten im Pfarrhaus und losten aus, wer eine unruhige Nacht im Zelt am Rand des Abhangs verbringen würde.
    Darwin selbst reiste an, um die Höhle zu untersuchen. Er gab zu, dass der Mangel an fossilen Beweisen, zur Stützung einiger seiner Theorien, beschämend sei. Die Gegner seiner
Entstehung der Arten
verlangten eine Erklärung dafür, dass sich manche Arten offenbar gar nicht fortentwickelt hatten. Wo war die so genannte fossile Stufenleiter?
    »Das Kambrium ist sehr unzufriedenstellend«, sagte er zu seinen Kollegen.
    Die Höhle schien allerhand neue Möglichkeiten zu eröffnen. Wie in einer Speisekammer lagerten Trilobiten, Ammoniten, Austern mit gewellten Schalen, Brachiopoden, bröselige Sterne an langen Stielen, und obwohl es schien, als hätte nur eine schreckliche Sintflut à la Noah diese Dinge hinterlassen können, war der Mann mit dem Seepferdchen in der Tasche unglücklich.
     
    Lange Stunden brachte er damit zu, den aufgeregten Stimmen zu lauschen, die vom Anbeginn der Welt sprachen. Er hatte immer an einen beständigen Zustand geglaubt, von Gott geschaffen und anschließend sich selbst überlassen. Es konnte nicht Gottes Wunsch sein, dass die Dinge unaufhörlich in Bewegung und im Wandel sind. Eine unvollkommene Welt war nicht Gottes Wille. Er habe etwas Grandioses und Prachtvolles gewollt, etwas von Dauer.
    Darwin versuchte, ihn zu trösten. »Sie ist nicht weniger wundersam oder herrlich oder großartig, diese Welt, für die man mich verantwortlich macht. Bloß ist sie weniger bequem.«
    Dark zuckte die Achseln. Warum sollte Gott die Welt in einem so unfertigen Zustand erschaffen haben, dass sie in der Verlegenheit war, sich unablässig zu justieren?
    Er wurde seekrank davon. Seine eigene Person machte ihn seekrank, er torkelte hin und her und wusste doch, dass derKampf, der in ihm wütete, ein Kampf um seine Selbstbeherrschung war, und aus seinen Händen war alles Blut gewichen, so fest war seine Umklammerung.
    Wenn die Bewegung in ihm selbst genau wie die Bewegung in der Welt war, wie sollte er dann jemals sein Gleichgewicht finden? Irgendwo musste ein Fixpunkt sein. Stets hatte er an der Beständigkeit Gottes, an der unumstößlichen Zuverlässigkeit von Gottes Schöpfung festgehalten. Nunstand er vor einem abtrünnigen Gott, der aus Jux und Tollerei eine Welt erschaffen hatte, nur um zu sehen, wie sie sich wohl fortentwickeln mochte. Ob er auch den Menschen in diesem Sinne erschaffen hatte?
    Vielleicht gab es ja gar keinen Gott. Er musste laut lachen. Vielleicht war es so, wie er immer vermutet hatte, und er fühlte sich deshalb so einsam, weil er allein war.
    Er dachte wieder an seine Finger in den hohlen Windungen der Fossilien. Er dachte wieder an seine Finger in ihrem Körper. Nein, daran durfte er nicht denken, niemals. Er ballte die Fäuste.
    Ob Gott oder kein Gott, es schien nichts mehr da, woran man sich festhalten konnte.
    Er fühlte nach dem Seepferdchen in seiner Tasche.
    Er holte es

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