Der Lichtritter: 1 (Oleipheas Schicksal) (German Edition)
auszubrechen. Der Atem des Schattenkönigs
war schneller geworden. Kaum merklich tippelte er mit seinen blassen Fingern
auf die mit Fell bespannte Lehne des Throns. Um ihn herum schrie die Stille.
Sie brachte ihn noch um den Verstand. Schon immer hatte er es gehasst, zu
warten. Tatenlos zu sein, quälte ihn, doch ihm blieb keine Wahl. Er musste
warten, dass etwas passierte. Jäh wurde die verachtete Stille im Raum
unterbrochen, als die Türen des Saales lautstark geöffnet wurden. Moros hob den
Kopf. Vlad war zusammen mit einer Frau eingetreten und kniete mit ehrfürchtigem
Abstand zu Moros nieder. „Sie ist es!“, wisperte Vlad. Moros nickte stumm. Mit
seinen roten Augen musterte er die Frau. Ihrer glatten Haut nach zu urteilen,
war sie noch jung. In Moros’ Augen zu jung, um einer Sekte wie dem Zirkel
beizuwohnen. Doch wenn sein Bruder sie rekrutiert hatte, dann musste er seine
Gründe dabei gehabt haben. Er schaute tief in die haselnussbraunen Augen der
Frau. Darin erblickte er die nötige Bereitschaft, alles für ihren Gebieter zu
tun, und das gefiel ihm. „Erhebe dich, mein Kind!“, befahl er mit gutmütiger
Stimme. Nur zögerlich erhob sich die junge Frau. Ihre schwarzen Haare hingen
ihr in das Gesicht, sodass sie, beinahe wie ein schüchternes Mädchen, einige
Strähnen weg schob. Ihr Blick wechselte
zwischen Moros, der über ihr auf dem Thron saß, und Vlad, der noch immer
kniete. Mit den Zähnen kaute sie angespannt auf ihrer vollen Unterlippe. „Die
Krankheit, die mich einst dahingerafft hat, schwächt mich noch immer. Ich bin
gebunden an diesen Ort, kann mich nicht viel bewegen, da es zu einem Rückschlag
kommen könnte. Meine Knochen sind zerbrechlich, wie eine Puppe. Es grämt mich,
tatenlos zu sein. Umso wichtiger sind gerade in dieser Zeit treue Diener, auf
die ich mich verlassen kann“, sprach Moros. Seine Stimme klang rau und trocken.
Langsam erhob er sich. Vlad sprang auf, um seinem Gebieter zu stützen, doch
dieser winkte ab. „Lasst uns allein!“, befahl er. Kaum war Vlad gegangen, kam
Moros nah an sie heran. Genüsslich sog er den wohlduftenden Geruch der Frau vor
sich ein, während er mit der rechten Hand durch ihr glattes Haar fuhr. „Bist du
jemand, auf den ich mich verlassen kann?“, fragte er fordernd. „Ich werde tun,
was nötig ist“, antwortete sie knapp. Moros nickte und strich sich mit seiner
Hand über die Bartstoppeln. „Wie heißt du?“, erkundigte er sich schließlich.
„Mein Name ist Diana.“
„Einfach nur Diana?“
„Ja, nur Diana. Namen sind mir nicht wichtig. Was
sagt es über eine Person aus, wenn sie einen mächtigen Namen führt? Wir
Menschen sind schließlich handelnde Geschöpfe. Eine Person wird erst durch ihre
Taten groß und nicht durch einen Namen.“
Diana gefiel ihm. Er spürte, dass sie die Person
war, nach der er gesucht hatte, seitdem er erneut die verpestete Luft von
Oleiphea atmete. „Sehr interessante Gedankenführung! Ich schaue in deine Augen
und sehe, dass in ihnen vieles geschrieben steht. Ich lese, dass du dich nach
dem Grund fragst, weswegen ich dich herbeordert habe.“
Diana stutzte. Sie war fasziniert von Moros, diesem
seltsamen Mann, der aus einer anderen Zeit stammte. Seine Gestalt zog sie
magisch an und sie wäre bereit, alles für diesen Mann zu tun. Es war ihr ein
unlösbares Rätsel, weshalb sie diese Bewunderung verspürte. Wie benebelt hing
sie an den Lippen des Schattenkönigs. „Die Welt, wie sie ist, schreit nach
Veränderung. Unser Ziel ist es, dieses Flehen zu erhören. Wie du sicherlich
weißt, wird der Bund gestützt von vier Pfeilern. Tyrium in Rhizom, die
Dolansburg in Weltenbrücke, Meareth in Nordküste und Ustral in Feuersbrunst.
Die Dolansburg in unserer Hand zu haben, ist ein Anfang. Von innen heraus haben
wir sie eingenommen und damit ein Zeichen unserer Macht gesetzt. Damit das
fragile Gerüst des trügerischen Friedens zusammenfällt, müssen wir jedoch noch
die weiteren Pfeiler zerschlagen. Ustral ist zu weit entfernt, als dass wir
dort etwas ausrichten könnten. Tyrium ist gezeichnet vom Bürgerkrieg, so
berichtete man mir, und steht kurz vor der eigenen Vernichtung. Ist die
Nachricht vom Tod des Großkönig erst einmal dort angekommen, wird sich die
Stadt von selbst zugrunde richten. Reise also zusammen mit Vlad nach Meareth
und ermordet den dort regierenden Eyrl. Das wird für Aufsehen sorgen und unsere
Macht weiter stärken“
Seine Worte waren wie Donner in Dianas Ohren. Für die Ermordung
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