Der Liebe Boeser Engel - Schuld Verjaehrt Nicht
denn ein Begünstigter kann nicht gleichzeitig Zeuge sein. Ich muß irgendwann mal nachrechnen«, meinte der Chief Inspector, »wie viele Kingsize-Lullen man tatsächlich mit all dem Zaster kaufen kann.«
»Geht’s dir gut, Mike?« fragte Grace. »Ich meine, fühlst du dich wohl? Du bist diese Woche jeden Abend Punkt sechs zu Hause gewesen.«
Burden lächelte. »Sagen wir mal, ich bin wieder vernünftig geworden. Es fällt mir ein bißchen schwer, meine Gefühle in Worte zu fassen, aber ich nehme an, mir ist einfach klargeworden, wie glücklich ich sein kann, meine Kinder zu haben, und wie entsetzlich es wäre, sie zu verlieren.«
Sie antwortete nicht, sondern ging zum Fenster, um die Vorhänge zuzuziehen und die Nacht auszusperren. Mit dem Rücken zu ihm sagte sie plötzlich: “Ich werde nicht mit bei dem Pflegeheim einsteigen.«
»Also hör mal...« Er stand auf, ging zu ihr hin und faßte sie beinah grob am Arm. »Du sollst dich nicht um meinetwillen aufopfern. Das dulde ich nicht.«
»Mein lieber Mike!« Er sah plötzlich, daß sie weder von Sorge noch von schlechtem Gewissen geplagt, sondern glücklich war. »Ich opfere mich nicht, ich...« Sie zögerte, wahrscheinlich in Erinnerung daran, daß er nie mit ihr hatte reden wollen, nie über irgend etwas anderes hatte sprechen wollen als über die banalsten Haushaltsdinge.
»Erzähl«, bat er mit einer für sie völlig neuen, leidenschaftlichen Eindringlichkeit.
Sie sah verblüfft aus. »Also... tja, ich habe in Eastbourne einen Mann wiedergetroffen, einen Mann, den ich schon seit Jahren kenne. Wir - wir haben uns geliebt. Wir hatten uns zerstritten... Ach, es war alles so dumm! Und jetzt - jetzt möchte er einen Neuanfang wagen und hierherkommen und mit mir ausgehen und - und ich glaube, Mike, ich glaube...« Sie hielt inne und fügte dann mit der kalten Abwehr, die er sie gelehrt hatte, hinzu: »Es würde dich wohl kaum interessieren.«
“Oh, Grace, wenn du nur wüßtest!«
Sie starrte ihn an, als sei er ein völlig Fremder, aber ein Fremder, den sie gerade anfing zu mögen und den sie gern besser kennenlernen wollte. »Wenn ich was wüßte?« fragte sie.
Einen Augenblick antwortete er nicht. Er dachte, wenn er es jetzt nur richtig anstellen könnte, dann hätte er seinen Zuhörer gefunden, seinen einzigen Freund, jemand, der Verständnis haben würde, weil er für so viele Facetten des Lebens Verständnis hatte, der die einfachen täglichen Freuden seiner Ehe verstehen würde, und auch den lodernden Glanz, den kleinen Sommer, den er bei Gemma gefunden hatte.
»Ich möchte auch reden«, sagte er schließlich. »Ich muß es jemandem erzählen. Wenn ich dir zuhöre, wirst du mir dann auch zuhören?« Sie nickte verwirrt. Er dachte, wie hübsch sie war, wie sehr sie Jean ähnelte, sie würde eine wunderbare Frau für diesen Mann abgeben, der sie liebte. Und weil es jetzt kein Mißverständnis mehr zwischen ihnen geben konnte, drückte er sie kurz an sich und legte seine Wange an die ihre.
Er spürte ihr Glück in der Herzlichkeit, mit der sie seine Umarmung erwiderte, und sie steckte ihn damit an, machte ihn selbst auch fast glücklich. Würde es andauern? Fand er endlich sein Gleichgewicht wieder? Er wußte es nicht, noch nicht. Aber sein eigener Sohn und seine Tochter waren sicher, sie schliefen hinter diesen geschlossenen Türen, er konnte wieder arbeiten, und er hatte einen Freund, der jetzt, wenn auch mit noch immer fest zusammengepreßten Händen, darauf wartete, was er ihm zu erzählen hatte.
Grace führte ihn zum Kamin, setzte sich neben ihn und sagte, als habe sie schon fast verstanden: »Es wird alles gut werden, Mike.« Mit ernsthaftem und erwartungsvollem Gesichtsausdruck wandte sie sich ihm zu. »Also, dann laß uns reden.«
Verlagsgruppe Random House
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1. Auflage
Taschenbuchausgabe Juli 2008
Der Liebe böser Engel
Copyright © der Originalausgabe 1970 by Ruth Rendell
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 1995
by Wilhehn Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Alle Rechte an der deutschen Übersetzung
bei Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Schuld verjährt nicht
Copyright © der Originalausgabe 1971 by Ruth Rendell
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 1996
by Wilhehn Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Alle Rechte an der deutschen
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