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Der Liebe eine Stimme geben

Der Liebe eine Stimme geben

Titel: Der Liebe eine Stimme geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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ihre Zähne und starrt aus dem Fenster. Niemand sonst ist heute hier, bis auf Mary Crawford, die hinter der Ausleihtheke sitzt.
    In der Bibliothek ist es heiß und ruhig und still. Die Uhr tickt. Sie sieht auf ihr Notizbuch.
    Leer.
    Sie muss nichts mehr schreiben. Das Ende, das sie gewählt hat, ist gut genug. Selbst wenn sie noch ein anderes Ende schreibt, würde es Olivia nicht unbedingt die Antwort liefern, die sie will. Das kann Beth ihr nicht garantieren. Sie steckt die Kappe auf ihren Stift und klappt das Notizbuch zu, aber sie geht nicht. Sie starrt aus dem Fenster, ringt mit sich, lauscht auf das Ticken der Uhr.
    Sie haben noch nicht das richtige Ende.
    Das Ende, das du geschrieben hast, ist gut.
    Was war der Sinn von Anthonys Leben?
    Vielleicht gibt es in der Geschichte eine Lektion für dich.
    Jimmy.
    Tick. Tick. Tick.
    Sie streckt die Arme über den Kopf und drückt den Rücken durch. Dann stellt sie die Füße auf den Boden, setzt sich etwas aufrechter auf ihren Platz, schlägt ihr Notizbuch wieder auf und zieht die Kappe von ihrem Stift. Sie starrt auf die leere Seite.
    Nichts.
    Auf einen solchen Widerstand ist sie nicht mehr gestoßen, seit sie vor all den Monaten angefangen hat, hier zu schreiben. Aber da ist es wieder, und es fühlt sich größer an als je zuvor, eine fünfzehn Meter hohe Wand, die zwischen ihr und der Möglichkeit eines neuen Endes steht. Vielleicht gibt es nichts mehr zu schreiben.
    Was war der Sinn von Anthonys Leben?
    Tick. Tick. Tick.
    »Hey, Anthony. Hast du hier noch mehr zu sagen?«, flüstert sie.
    Sie hält den Atem an und lauscht.
    Tick. Tick. Tick.
    Keine Stimme aus einer anderen Dimension. Sie atmet aus, fühlt sich erleichtert. Aber dann kommt irgendetwas zu ihr, eine Frage, mit ihrer eigenen Stimme gestellt.
    Was ist der Sinn meines Lebens?
    Und dann schießt ihr ein Gedanke durch den Kopf, groß und voller Selbstbewusstsein, nicht aus Geräuschen oder einem Bild vor ihrem geistigen Auge zusammengesetzt, sondern wissend, ätherisch, und doch so echt und sicher wie der Stuhl, auf dem sie sitzt – die Antwort auf ihre Frage.
    Sie sind ein und dasselbe.
    Sie schließt die Augen und atmet. Sie atmet im Rhythmus der tickenden Uhr, und bald scheinen sich beide zu verlangsamen und auszudehnen. Sie stellt sich die fünfzehn Meter hohe Wand des Widerstands vor, die vor ihrem geistigen Auge aufragt, aber anstatt zu versuchen, darüberzuklettern oder sie einzureißen, stellt sie sich vor, an ihr entlangzugehen. Sie lächelt, während sie die Wand aus dieser neuen Perspektive betrachtet. Diese unglaublich hohe Wand ist nur ein, zwei Meter breit. Sie schlendert darum herum, und da, ihr gegenüber, vor einem klaren, blauen Himmel, steht er und sieht ihr lächelnd in die Augen: Anthony. Sie erwidert sein Lächeln und nickt.
    Sie schlägt die Augen auf und nimmt ihren Stift in die Hand, fühlt sich auf einmal mächtig inspiriert, während ihre Hand über die Seite fliegt.

ACHTUNDDREISSIG
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    Olivia wacht, noch immer müde, zu einem neuen dunkelgrauen Morgen auf. Sie denkt noch nicht, begreift noch nicht, welcher Tag es ist. Sie bleibt lange unter einer dampfend heißen Dusche, zieht sich an, dann setzt sie sich mit einem Buch und einer Tasse Kaffee an ihren Küchentisch, wie an jedem anderen Morgen auch. Erst als sie den letzten Schluck getrunken hat, trifft sie das heutige Datum wie ein Schlag ins Gesicht.
    Zehnter Januar. Und jeder Vergleich mit einem normalen Tag versagt sich bei dieser Erkenntnis.
    Wie der heutige Tag begann auch der zehnte Januar vor zwei Jahren wie ein typischer Morgen. Es war ein Sonntag. Anthony stand als Erster auf, und Olivia folgte ihm nach unten. Er machte es sich auf der Couch vor Barney bequem, während sie Kaffee kochte und das Frühstück machte, und David duschte.
    Sie toastete drei Toaststreifen, bestrich sie mit Ahornsirup und legte sie auf Anthonys blauen Teller. Sie stellte seinen Teller und seinen Traubensaft an seinen Platz am Küchentisch, legte eine Serviette und eine Gabel daneben und ging dann hoch, um zu duschen, solange David noch zu Hause war. Bis sie sich angezogen hatte und wieder herunterkam, hatte Anthony sein Frühstück bereits gegessen und David seinen Kaffee getrunken. David verabschiedete sich und fuhr zu einer Hausbesichtigung, mindestens ein paar Stunden, bevor er wirklich losmusste, ein Teil seiner Strategie, ihr aus dem Weg zu gehen.
    Anthony war inzwischen oben im großen Bad und spielte mit Wasser im Waschbecken. Es war

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