Der Liebe Gott Macht Blau
Dorf Ulmabukta auf der Halbinsel Nugssuaq, gut hundert Kilometer nördlich von Jakobshavn. Gott und Pirjeri begaben sich umgehend dorthin. Vielleicht hätten sie endlich die Gelegenheit, den Teufel auf frischer Tat zu ertappen.
Seit ihrem Auf bruch aus Tokio war ein ganzer Tag verstrichen. Jetzt herrschte Abend auf der nördlichen Halbkugel. Götter sehen jedoch auch im Dunkeln, in dieser Hinsicht ähneln sie Katzen.
In dem kleinen Dorf Ulmabukta, das nur aus etwa zehn schäbigen Hütten bestand, herrschte ein teuflisches Treiben. Gott versuchte zu einem örtlichen Engel Kontaktaufzunehmen, um sich über die Vorgänge zu informieren, aber niemand meldete sich. War es so, dass aus diesem kleinen Dorf nie auch nur eine einzige Seele in den Himmel aufgenommen worden war? Möglicherweise traf das zu, denn es war wirklich eine gottverlassene Ecke. Der Allmächtige war gezwungen, sich mit Pirjeris Hilfe selbst ein Bild von der Situation zu machen.
Das Dorf hatte nur etwa fünfzig Bewohner. Die Hütten waren aus Holz zusammengezimmert, am Ufer gammelten ein paar Boote und Kajaks vor sich hin, auf den Höfen kläfften zottige Schlittenhunde. Hier und dort standen defekte Motorschlitten, die die Leute im Frühjahr einfach vergessen hatten. Im Ort gab es keine Schule, keine Kirche und keinen Laden, trotzdem ging es momentan sehr lebhaft zu. Der Teufel hatte sich richtig ins Zeug gelegt.
Es stellte sich heraus, dass der junge Dorfvorsteher mit seinem rostigen Geländewagen nach Jakobshavn gefahren war, um sich die Laborergebnisse einer ärztlichen Untersuchung abzuholen, der er sich in der vergangenen Woche unterzogen hatte. Bei dieser Gelegenheit hatte er sich mit dänischem Bier und Aquavit bevorratet. Der Mann hatte eine niederschmetternde Nachricht entgegengenommen: Er war HIV -positiv. Wie konnte er sich diesen schrecklichen Virus nur eingefangen haben?, hatte er sich gefragt und war zu dem Schluss gekommen, dass die Weiber seines Heimatdorfes schuld an seinem elenden Schicksal waren. Voller Wut war er auf der provisorischen Uferstraße zurück in sein Dorf gefahren, hatte unterwegs die Hälfte seiner Alkoholvorräte ausgetrunken und, am Ziel angekommen, eine schreckliche Randale begonnen. Die eigene Frau hatte ihren Teil abgekriegt, ebenso die Frau desNachbarn, alle Frauen im Dorf, mit denen der infizierte Mann je zu tun gehabt hatte.
Die erschrockenen Frauen waren durchs Dorf gerannt, bis sie den Geländewagen des tobenden Mannes gefunden hatten, sie hatten die restlichen Schnapsvorräte ausgeladen und schleunigst in Sicherheit gebracht. In ihrer Angst hatten sie angefangen, die Flaschen auszutrinken, damit der Wüterich nicht noch mehr Alkohol zu sich nehmen konnte. Das ganze Dorf hatte sich an der Vernichtung der Bestände beteiligt, alle waren unterwegs gewesen, schreckliches Weinen und Schreien waren über den einsamen Strand gehallt, Gewehrschüsse hatten geknallt. Der Dorfvorsteher war völlig außer sich geraten und hatte gedroht, sämtliche Frauen des Ortes umzubringen und auch die männliche Bevölkerung, wenn es darauf ankäme. Die Situation war so bedrohlich gewesen, dass der eine oder andere Bewohner seine zitternden Hände gefaltet, den weinerlichen Blick zum herbstlichen, arktischen Himmel erhoben und ein ängstliches Gebet zum Allerhöchsten gesandt hatte. Zum Glück waren die Gebete in Bulgarien registriert worden, und nun waren Gott und Pirjeri herbeigeeilt.
Obwohl die Situation in diesem öden Erdenwinkel ganz schrecklich war, war es für Gott und Pirjeri keine besonders schwierige Aufgabe, die Sache zu klären. Sie vollbrachten ein paar schnelle Wundertaten. Als Erstes beruhigten sie den Dorfvorsteher. Er kam aus seiner infernalischen Wut zu sich, sein Kopf wurde klar, und er zog sich in seine Wohnung zurück, dort schob er das Gewehr unters Bett und sah niedergeschlagen durch die kleine Fensterluke hinaus aufs Meer.
Anschließend beruhigte Gott auch die anderen Leute.Erleichtert kehrten sie in ihre Behausungen zurück. Pirjeri säte Freude und Hoffnung über das Dorf, während Gott die Aidskrankheit heilte, die sich unter den Bewohnern verbreitet hatte. Andächtige Ruhe kehrte im Dorf ein, und das in einem Maße, dass sich die Inuit später am Abend versammelten und in herzlicher Atmosphäre ihre Eintracht wiederherstellten, das Treffen endete mit einer gemeinsamen Andacht. Alle fragten sich verwundert, was den Dorfvorsteher und später das ganze Dorf an diesem traurigen Tag geplagt
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