Der Liebe Gott Macht Blau
mütterlich besorgt um ihren Nachwuchs. Alle sechzehn Ferkel waren dick und rund, und ihr sauberes Fell glänzte. Oh, sie waren so schön und so gut erzogen! Hätten sie doch ein gutes Leben vor sich! Mehr konnte die Sau sich nicht wünschen, und diese Bitte richtete sie an Gott. Sie hob die Schnauze zu dem aus Eisenrohren geschweißten Zaun ihres Kobens, schloss die Augen und sandte im Interesse ihrer Ferkel ein geseufztes Gebet bis in den Himmel.
»Lieber Gott, lass nicht die Ferkel, die im Herbst geboren wurden, verschwinden, nimm lieber mich an ihrer Stelle mit …«
Der amtierende Gott Pirjeri Ryynänen hatte um diese Zeit den Umzug nach Kerimäki bewältigt und im letzten Moment den Ausbruch des Dritten Weltkriegs verhindert. Nach diesen geglückten Großvorhaben beschloss er, sein irdisches Heim zu besuchen und seine Lebensgefährtin Eija Solehmainen zu treffen.
Es war Wochenende, und Eija hatte frei. Die lange Trennung trug dazu bei, die beiden einander näherzubringen. Pirjeri liebte seine Partnerin, und sie ihn. Eija brachte die Möglichkeit einer Abtreibung zur Sprache, aber Pirjeriwollte nichts davon wissen. Ihm erschien es unpassend, die Geburt eines Gotteskindes zu verhindern, schließlich hatte auch Jesus seinerzeit ungehindert zur Welt kommen dürfen. Er versprach, zu Eijas Unterstützung da zu sein, wenn das Kind käme. Bis dahin würden sie sicher auch heiraten, wenn Eija es wollte. Sie könnten eine richtig prachtvolle kirchliche Hochzeit feiern! Er bekannte, nach dem Sommer gläubig geworden zu sein. Auf seiner neuen Arbeitsstelle herrschte eine sehr fromme Atmosphäre.
Pirjeris Aufgaben in dem internationalen Projekt erlaubten ihm nicht, länger zu bleiben. Er verabschiedete sich von Eija und versprach, zu Weihnachten wiederzukommen.
Er machte einen Abstecher zum Markt am Südhafen, um sich Helsinki bei Novemberwetter anzusehen. Es war eine Weile her, seit er zuletzt in seiner Heimatstadt gewesen war. Verglichen mit den Slums von Kalkutta, sah das Zentrum von Helsinki wirklich hübsch aus, auch jetzt gegen Ende des Herbstes, bei kaltem Novemberwind.
Pirjeri sah, dass am Rathaus ein Wagen vorfuhr, dem Raimo Ilaskivi entstieg. Da marschierte ein echter finnischer Bürgerlicher zu seinem Arbeitsplatz, ehemaliges Zugpferd der Konservativen Partei und jetziger Oberbürgermeister, lang gedienter Politiker, der bald in Pension gehen würde. Pirjeri verfiel auf die Idee, Ilaskivi in die Spur zu schicken und gegen die in Finnland bis zum Siedepunkt erhitzte Kasinowirtschaft angehen zu lassen. Wenn er bewirken könnte, dass Ilaskivi vehement gegen die Spekulation Position bezog, würde das vielleicht die Geldgier der Kapitalisten dämpfen. Pirjeri wusste natürlich, dass es göttlicher Kräfte bedurfte, einen unverbesserlichen Bourgeois zur Vernunft zu bringen – aber wer, wenn nicht er, besaß diese Kräfte?
Pirjeri drang in Ilaskivis Bewusstsein ein und installierte dort eine ganze Reihe neuer Gedanken, die so stark und radikal waren, dass der Oberbürgermeister selbst erschrak. Auf der Stelle machte er kehrt, stieg wieder in seinen Dienstwagen und wies den Fahrer an, ihn zu seiner Wohnung am anderen Ende des Viertels zu fahren. Er hatte kaum den Mantel ausgezogen, als er auch schon einen Stift in der Hand hielt. Fieberhaft verfasste er den Entwurf einer Meinungsäußerung, die er an die Zeitung zwecks Veröffentlichung in der Leserbriefspalte schicken wollte. Abends schrieb er sein Pamphlet ins Reine und schaffte es eilends zur Redaktion. Dort weckte die Story Misstrauen. Wie konnte es möglich sein, dass ein pechschwarzer Bürgerlicher von der Kasinowirtschaft genug hatte und verlangte, dass sie eingedämmt werden sollte? Die Redaktion veröffentlichte den Text dennoch, und er erregte ungeheures Aufsehen, genau wie Pirjeri es beabsichtigt hatte.
Somit hatte er erreicht, dass aus bürgerlichen Kreisen Kritik an der Kasinowirtschaft laut wurde, und damit beschloss er, nach Kerimäki zurückzukehren. Unterwegs überflog er das Dorf Kirvelä in Vihti. Da drang ein sonderbares Gebet in sein Bewusstsein, ein schlichter und inbrünstiger mütterlicher Appell für eine große Kinderschar, ebenjenes Gebet, das die Sau Elisapet kurz zuvor an Gott gerichtet hatte.
Pirjeri suchte nach dem Ort, von dem das Gebet ausgegangen war, und fand sich in einem großen Schweinestall wieder. Erlaubte sich da jemand einen Scherz mit ihm? Wie konnten aus einem Schweinestall inbrünstige und mütterlich besorgte Gebete
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