Der Liebespakt
Versprichst du mir das?«
Toni nickte, wie es sonst nur kleine Kinder tun, wenn sie telefonieren, vergessend, dass der andere sie ja nicht sehen kann. »Ich melde mich«, hauchte sie verzagt und verstaute das Handy tief in der Tasche. Auch ihre Schuhe waren jetzt völlig durchweicht. Sie schlug den schwarzen Mantelkragen hoch und machte sich auf den Heimweg.
Zu allem Unglück fiel der Abend der Einladung ausgerechnet auf ihren vierten Hochzeitstag. Was serviert man am vierten Hochzeitstag einer Ehe, die soeben gescheitert ist? Rollmöpse in Wodka? Ob Georg überhaupt wusste, dass es ihr Hochzeitstag war? Ach was, bestimmt nicht, er hatte längst mit dieser Ehe abgeschlossen.
Sie bog um die Ecke und konnte schon das Haus sehen. Ein Gründerzeitbau, ein ehemaliges Verlagshaus. Die Gegend hier, unweit der Friedrichstraße, war früher das Berliner Zeitungsviertel.
Vor dem Krieg hatten hier viele wichtige Verlage, Zeitungen und auch Druckereien gesessen, heute ragte nur noch das große goldene Springer-Hochhaus unübersehbar in die Höhe. Dazwischen einige verloren wirkende Gründerzeitbauten, Überreste der prächtigen Zeit. Auf einem dieser alten Gebäude hatten Georg und Toni vor wenigen Jahren das Dach ausbauen lassen. Der Ausbau war teuer gewesen, aber sie wussten beide, der Wiederverkaufswert der Wohnung lag vielfach höher als das, was sie hineingesteckt hatten. Sie hatten den Dachrohling zu einer Zeit gekauft, als die Gegend um die Friedrichstraße noch ziemlich tot gewesen war. Die Straßenzüge waren im Krieg durch Bomben fast ausradiert worden. Danach war die Mauer gekommen und hatte der Gegend um den Checkpoint Charlie den Rest gegeben. Es hatte zwei Jahrzehnte gedauert, bis sich wieder Leben in den Straßen regte. Inzwischen war die Lage unschlagbar - der Gendarmenmarkt, die Friedrichstraße, der Potsdamer Platz, das Brandenburger Tor und der Boulevard Unter den Linden, alles fußläufig erreichbar.
Wenn sie verkaufen sollten, würden sich die Makler um die Wohnung reißen. Sie war schon mehrmals für internationale Interieur- und Architekturzeitschriften fotografiert worden, die der Welt zeigen wollten, wie hip Berlin sei. Der Blick von dort oben war atemberaubend, Tonis minimalistische Einrichtung weiterhin en vogue, dazu kam die erstaunlich gut erhaltene alte Eingangshalle des Hauses aus der Gründerzeit - genau die perfekte Mischung aus Nostalgie und Coolness also, der Mix aus Kaiserzeit, Ruinen und Jugend, die alle Welt in Berlin suchte. Man spürte sofort beim Eintreten, wie mächtig einst das Verlagshaus gewesen war. Welche Pracht!
In der Eingangshalle zog Toni den klatschnassen Mantel aus und trocknete sich mit dem Ärmelfutter das Gesicht ab. Anders als die meisten ihrer Gäste war Toni von dem Foyer nie besonders
beeindruckt gewesen. Gut, es kam sehr herrschaftlich daher. Die Decke hoch über ihr üppig mit Stuck verziert. Ein schwerer Leuchter hing an einer Messingkette herab, der aussah, als habe ihn jemand vom Set eines Mantel-und-Degen-Films geklaut und hier aufgehängt. Auch das schwere Treppengeländer aus dunklem Holz war verschnörkelt, auf der Spitze des Pfostens am Treppenende thronte eine sonderbar geschnitzte Frucht, etwas Exotisches, vermutlich eine Fantasiefrucht. Die Architekten, die das Haus vor einigen Jahren komplett renoviert hatten, waren sorgsam mit allen Details umgegangen, sie hatten den Stuck komplett gereinigt, das Treppengeländer auf Hochglanz poliert, sogar darauf geachtet, dass die Messinghalter, die den Teppich auf der Treppe hielten, original aus dem späten 19. Jahrhundert stammten.
Der gesamte Eingangsbereichs war voller Schnickschnack, der dem Besucher signalisieren sollte: Wir sind wer. Doch soweit Toni wusste, ging der Berliner Verleger, dem das Haus gehört hatte und der sich am Ende weigerte, noch irgendjemand die Hand zu geben, weil er einen Waschzwang wie der Millionär Howard Hughes entwickelt hatte, irgendwann in Konkurs. Als die Weimarer Republik begann, war sein mächtiges Zeitungsimperium schon zerschlagen.
Für Toni kamen solche historistischen Aufträge als Innenarchitektin überhaupt nicht infrage. »Ich bin keine Museumsmitarbeiterin«, pflegte sie zu sagen, wenn sie ein Angebot bekam, Altes zu restaurieren. Toni war eine Anhängerin der minimalistischen Moderne - klare Linien, keine Schnörkel, kein überflüssiges Ornament. Die Gründerzeit war das glatte Gegenteil ihres Stils - komplett verspielt. Allein der Messingknopf, den sie jetzt
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