Der Liebespakt
allein im Fahrstuhl, im Bad ihrer Wohnung, während Tom draußen in der Küche hantierte. Diese Bilder würden sie nicht mehr loslassen: das Ehepaar Jungbluth, Hand in Hand, scheinbar glücklich, scheinbar schwanger. Karoline war mit ihrer Geduld am Ende: Sie würde Georg zur Rede stellen.
13
Am nächsten Tag zog Toni wieder in die Dachgeschosswohnung ein. Sie hatte ihre Liege im Atelier abgezogen, eine Tüte mit frischen Brötchen und einen kleinen Strauß Blumen auf Shirins Ateliertisch hinterlassen und ihre KaDeWe-Tüten gepackt. Danach war sie zur Apotheke gegangen, hatte sich ein Pflaster besorgt und es über die Wunde auf ihrem Spann geklebt, die von Georgs Tritten beim Eierlauf stammte. Sie trug heute offene Schuhe, Sandaletten, damit Luft an die Wunde kam. Der Tag war frühsommerlich warm.
In der Eingangshalle hatte sie sofort die Haubenfrau begrüßt, sie wirkte gleichmütig gefasst wie immer. Aber davon ließ sich Toni nicht mehr täuschen. »Ich mache es besser«, hatte Toni geflüstert, während sie auf den rumpelnden Fahrstuhl wartete. »Er muss mir eine Menge Geld zahlen. Wenn alles vorbei ist, kannst du gerne mit deinem Kind bei mir einziehen.« Oben angekommen, stellte Toni erleichtert fest, dass ihr Schlüssel noch passte. Georg hatte die Schlösser also nicht austauschen lassen. Es gab einen kurzen Moment des Widerstands, dann drehte sich der Schlüssel und schob den Riegel auf. Toni betrat ihr eigenes Loft, zum ersten Mal seit zehn Tagen.
Die Luft in der Dachgeschosswohnung war abgestanden. Die Sonne schien jetzt, an diesem außergewöhnlich schönen späten Apriltag, schon fast sommerlich warm und erhitzte die Räume. Toni riss die Balkontür auf.
Auf dem Parkett, ganz zentral in der Mitte des Raums, lag Georgs Jeans, die er manchmal nach der Arbeit anzog. In der Jeans steckte noch seine weiße Boxershorts. Man sah, er war exakt an dieser Stelle, auf der Höhe des Bildes der Leipziger Schule, aus der Hose gestiegen und zur Dusche gegangen. Die Hosenabwurfstelle lag in Wurfweite zum Sofa, über dessen Lehne sein blaugraues Calvin-Klein-T-Shirt hing und auf dessen Sitzfläche die Fernbedienung für den übergroßen Flachbildschirmfernseher griffbereit lag. Außerdem hatte Georg seine synthetische Couchdecke wieder hervorgekramt, die riesengroß das Logo irgendeines blöden Eishockey-Vereins trug. Zerknautscht steckte sie in einer Sofaecke. Auf dem teuren Couchtisch, den sie über private Kanäle von einem sehr angesagten südkoreanischen Designer besorgt hatte, stand ein benutzter Teller.
Toni vermisste die Birken, die damals bei dem Essen in ihrem Wohnzimmer gestanden hatten. Die Kerzen. Die üppigen Blumengebinde. Alles war wieder beim Alten - eine prächtige, aber leblose Wohnung. Kein Wunder, dass Georg seine geliebte Eishockey-Decke wieder hervorgekramt hatte. Es war das einzig Persönliche im Raum.
Auf dem Küchentresen war die Post achtlos abgeworfen, größtenteils ungeöffnet. Viel Werbung, viele Rechnungen, kaum Privatbriefe. Neben dem Poststapel stand ein ausgekratzter Kirschjoghurt. Der Löffel, der herausragte, war am Becherrand festgeklebt. Erstaunlich, welche Klebeleistung getrockneter Joghurt entwickelte. Angewidert warf Toni den Becher samt Löffel weg. Irgendjemand hatte den Mülleimer geleert. Sicher nicht Georg. Vermutlich die Putzfrau.
Wie es wohl im Kühlschrank aussah? Trostlos. Aus einer halb aufgerissenen Plastiktüte, auf dem noch das rosa Preisetikett der Supermarkt-Fleischtheke klebte, ragten zwei Bockwürste. Außerdem fand Toni noch eine angebrochene Packung »Fertig-Grill-Pfannen-Kartoffeln«,
eine halb leere Toastpackung (Körner Harmonie Toast), goldgelbe Käsescheibletten, Fleischsalat mit 25 % weniger Fett und eine Konservendose Champignon-Cremesuppe (im Kühlschrank!). Im Flaschenfach standen neben einer Tüte H-Milch eine Flasche Ketchup und ein Tetrapak Multivitamin-Saft. Außerdem eine neue Flasche Fernet Branca. Kein Wunder, bei dem Speiseplan. Im Gemüsefach lag immer noch die Paprika, die Toni vor zwei Wochen eingekauft hatte. Sie sah zwar noch rot aus, aber schrumpelig wie eine Mumie. Als Toni nach ihr griff, verlor die Paprika das letzte bisschen Statik und zerrann unter ihren Fingern zu Matsch. Sie hatte die Schublade des Gemüsefachs leise fluchend wieder zugeschoben und sich die Hände unter dem Küchenhahn gewaschen.
Es war, als sei auch ihr Ehemann Georg in den letzten zwei Wochen aus der Wohnung ausgezogen und stattdessen ein alter Kumpel
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