Der Liebespakt
auf.
Die Zuschauer waren auf Toni und Georg aufmerksam geworden. Nichts ist spannender als eine Aufholjagd. Keine Gewinner werden so sehr geliebt wie diejenigen, die weit hinten liegen und dann Boden gutmachen. Die Leute fingen an, rhythmisch zu klatschen, sie übernahmen Georgs Zählweise, gaben jetzt zusammen mit ihm den Takt an. Weder Toni noch Georg dachten noch an irgendetwas, ihre Köpfe waren leer, das Ei lag wie angeklebt auf dem Löffel, und das Ziel rückte immer näher.
Jetzt kriegte auch Karoline mit, dass die Stimmung sich gedreht hatte. Für wen klatschten die Leute? Sie drehte sich um und erkannte, wie sehr Georg und Toni aufgeholt hatten. Tom dagegen fokussierte weiterhin das Ziel, zog energisch sein Bein nach vorne, während Karoline diesen kurzen Moment des Zögerns hatte, der sie erlahmen ließ. Tom und Karoline kamen zum ersten Mal ins Straucheln.
Georg und Toni hätten jetzt womöglich überholen können, doch von vorne rannte ein Hase frontal auf sie zu und wollte die Bahn blockieren. Würde das passieren, hätten sie keine Chance mehr. Toni packte den Hasen an seinem Polyesterfellkostüm
und zog das Hasengesicht mit den riesigen Schneidezähnen - eine Gummimaske, unter der ein Unbekannter steckte - dicht an sich heran. Dann drohte sie:
»Wenn du dich uns in den Weg stellst, macht mein Mann dich fertig. Er wird der neue Vorstandsvorsitzende. Entweder du räumst sofort die Bahn oder du verbringst den Rest deiner Berufsjahre im Hasenkostüm.«
Daraufhin floh der Hase auf die nächste Bahn, wo das Küchenduo mit den Widrigkeiten eines wackligen Eis und zusammengebundenerc Beine kämpfte. Hier kannte der Hase kein Erbarmen, er stellte sich ihnen in den Weg.
»Und eins, und eins, und eins.«
Karoline und Tom hatten sich jetzt wieder gefangen, die Paare waren auf einer Höhe und kämpften nun verbissen gegeneinander. Keiner fiel zurück. Nur noch zwanzig Meter bis zur Ziellinie. Die Eier wackelten auf den Löffeln, aber sie hielten, Georg zählte weiterhin leise vor sich hin, und genau das brachte Karoline aus dem Takt, die unmittelbar auf der Nebenbahn war. Nun lagen Georg und Toni schon fast vorne, Toni spürte, beim nächsten Schritt waren sie an den beiden vorbei. Da sah sie mit Entsetzen, wie Karoline nach Georgs hellblauem Hemd griff. Sie wollte ihn offensichtlich um jeden Preis aufhalten.
Das Reißen des Stoffes konnte man trotz des Klatschens lautstark hören. Georg bekam im ersten Moment kaum etwas mit, er wollte mit Toni unbedingt gewinnen, »und eins, und eins«. Das krachende Ratsch seines abgehenden Ärmels - denn das Hemd riss in Schulterhöhe - vernahm er nur unterbewusst. Auch die Kühle, die an seine Achselhöhle drang, fiel ihm nicht sofort auf. Noch drei Schritte, zwei, einer bis zum Ziel. Sie waren Sieger. Spontan riss Georg im Siegestaumel die Arme hoch, das gab dem Hemd endgültig den Rest. Nur noch an der
Schulternaht war der Ärmel mit dem Hemd verbunden, hing sonst lose am Arm herunter. Konsterniert starrte Georg an sich herab, während Toni in Windeseile die Nylonbänder von Bein und Hüfte entfernte. Endlich wieder frei!
Bevor jemand anderes die Initiative ergreifen konnte, stand nun Peter von Randow mit dem Mikrofon vor dem Siegerpaar und gratulierte. »Was für ein Kampf! So spannend war es noch nie. Natürlich gibt es wie jedes Jahr für die Sieger ein tolles Geschenk.« Nun trat er einen Schritt nach hinten, wo ein Tisch stand, auf dem etwas aufgebaut war. Was, konnte man allerdings nicht erkennen. Ein Tuch lag darüber.
Wie ein geübter Moderator einer Dauerwerbesendung ergriff Randow nun das Tuch, seine Frau stand als Assistentin lächelnd daneben, soweit ihr maskenhaftes Gesicht ein Lächeln zuließ, und hob es mit Schwung ab.
»Für das Siegerpaar des Eierlaufens: Eine Karaoke-Maschine für zu Hause! Herzlichen Glückwunsch.«
Eine Karaoke-Maschine? Was war das für ein Geschenk?! In den letzten Jahren hatte es Wellness-Wochenenden im Spreewald gegeben oder eine Kiste Champagner. Aber was sollten sie mit diesem überflüssigen Ding? Toni rechnete schon im Kopf aus, wie viel es dafür wohl bei eBay geben würde. Zögerlich ging Georg auf die Maschine zu.
»Sie ist übrigens angeschlossen«, sagte von Randow mit lauernder Stimme.
Die Konzernmitarbeiter, noch ganz aufgedreht vom Eierlauf und vom rhythmischen Klatschen, skandierten nun: »Ein Lied, ein Lied!«
Und ein ganz Vorlauter, Georg meinte, ihn aus der Buchhaltung zu kennen, rief: »Ein
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