Der Liebespakt
die großen Villen standen, von Wald und Wasser umgeben. Früher hatten in Zehlendorf UFA-Stars wie Heinz Rühmann oder Brigitte Horney gelebt, jetzt waren Anwälte, Politiker, Diplomaten
und reiche Russen in die Villen gezogen. Schauspieler wohnten hier nur noch vorübergehend, vor wenigen Jahren hatten mal Brad Pitt und Angelina Jolie für wenige Wochen in einer der alten Prachtvillen am See residiert.
Toni hatte inzwischen ihr Ziel fast erreicht. In allen Gärten, auch in denen, die an diese stark befahrene Straße grenzten, blühte schon der Flieder. Jetzt bog sie in die Seitenstraßen ein. Lila, pink, weiß - die üppigen Blütenknäuel dufteten bis ins Auto hinein. In vielen Gärten war Bewegung. Die bediensteten Gartenbaufirmen nutzten den sonnigen Tag und waren mit der gesamten Mannschaft ausgerückt; in jedem zweiten Garten wurden Hecken geschnitten, Rasen gemäht und letzte Blumen gepflanzt. Währenddessen sah man einige Villenbesitzerinnen auf der Terrasse ihres Hauses sitzen und lesen. Oder sie stiegen gerade in das Zweit- oder Drittauto ein, um zum wöchentlichen Fremdsprachen-Kurs zu fahren, den Muttersprachler wie Nadine oder Paolo gaben, damit man beim nächsten Urlaub das Essen in der Landessprache bestellen konnte. Wer hier lebte, der hatte sein Geld gut angelegt. So gut, dass selbst eine weltweite Wirtschaftskrise kaum den Alltag erschütterte.
Toni hielt in der Nähe des Hauses. Beate von Randow und ihr Mann wohnten erstaunlicherweise nicht in einer der großen 20er-Jahre-Villen, sondern in einem Bungalow aus den 70ern. Daraus machten sie keinen Hehl, sie liebten diesen Bungalow, der von einem großen Garten umgeben war. Das Gartentor öffnete sich mit einem leichten Quietschen, Toni ging an dem auch hier prächtig blühenden Flieder vorbei. Die Luft war hier draußen einfach besser. Es tat gut, aus dem Moloch Mitte herauszukommen.
In der Erwartung, bei dem schönen Wetter alle Gäste im Garten anzutreffen, ging sie auf einem Seitenweg am Bungalow vorbei, um hinter das Haus zu gelangen. Sie atmete nochmals
tief durch, dann trat sie um die Ecke. Niemand da. Vor ihr lagen eine verwaiste Wiese und darin ein verwaister Pool, an dessen Rand einige leere Gartenstühle aus Teakholz standen. Ein Eichhörnchen flitzte über die Wiese.
Irritiert drehte sich Toni zum Haus um. Und tatsächlich, dort standen die Ladys. Wie aus einem Terrarium blickten sie durch die geschlossene Terrassentür hinaus in den Garten, in dem Toni so einsam stand. Wer von den Damen noch nichts von Tonis Ankunft mitbekommen hatte, wurde von der Nachbarin angestoßen und aufmerksam gemacht. Die meisten hatten schon einen Essensteller in der Hand oder trugen zumindest ein Glas. Man maß sich gegenseitig. Waren die Blicke freundlich? Nein, nicht wirklich. Beate von Randow erschien jetzt am Terrassenfenster und signalisierte Toni mit heftigen Gesten, sie solle wieder um das Haus herum zum Haupteingang kommen. Der angespannte erste Moment war vorbei, die Damen nahmen wieder ihre Gespräche auf und bissen in ihre japanisch panierten Garnelen mit Ponzu-Sauce und in ihre Gemüse-Pakoras.
»Die Allergien«, sagte Beate von Randow zur Begrüßung, ihr Gesicht nach einer neuen Botox-Behandlung maskenhaft starr, »die Allergien haben in den letzten Jahren sehr zugenommen. Heuschnupfen, Grasallergie, wir hatten sogar schon eine Forsythien-Allergie. Seitdem findet der Ladys’ Lunch immer drinnen statt, egal, wie schön das Wetter ist. Ich lasse jedes Mal bestimmte Anti-Allergie-Filter in die Klimaanlage einbauen, damit die Hausstauballergikerinnen unseren Lunch überleben. Aber Toni, entschuldigen Sie, ich überfalle Sie mit meinem anti-allergischen Wortschwall. Treten Sie doch ein.«
Sobald die Haustür geschlossen war, spürte Toni die Kälte. Klimaanlagenluft. Sie war plötzlich froh über ihr kleines Bolerojäckchen, das zumindest ein bisschen Wärme spendete.
Aus dem Wohnzimmer drang lebhaftes weibliches Stimmengewirr.
»Bin ich zu spät?«, fragte Toni irritiert.
»Nein, genau richtig«, antwortete Beate von Randow und führte Toni ins Wohnzimmer. Im Moment ihres Eintritts verstummten kurz die Gespräche, und wieder starrten alle Toni an - so wie vor wenigen Minuten, als sie etwas verloren im Garten gestanden hatte. Plötzlich wurde Toni klar, dass sie absichtlich ein wenig später als die anderen einbestellt worden war; eine halbe Stunde vielleicht, womöglich sogar eine Stunde. Sodass alle sich in Ruhe vorbereiten konnten, jede
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